Europa hat gewählt

Stellungnahme der Grünen Alternative e.V., SL/KWK, 13.6.2024

Ohne Zweifel haben die Rechten und Faschisten in einzelnen Mitgliedsländern der EU hinzugewonnen. Das wirkt sich jedoch (noch) nicht in der Sitzverteilung im Europäischen Parlament aus. Gibt es also, wie Land auf Land ab verbreitet, sozusagen einen Erdrutsch nach “Rechts”? Ist der Rechtsruck vorerst ein regionales Problem der Mitglieds-Nationen oder bereits ein Gesamteuropäisches?

Vormals bis zur Wahl 2024 wies das EP 705 Sitze aus (ohne die Parlamentspräsident*innen). 2024 sind 720 Sitze zu verteilen. Die EVP (aus Deutschland CDU/CSU) geht etwas gestärkt (+1,1 %) aus den Wahlen hervor. Mit 186 Sitzen konnte die Fraktion ihre Stellung als stärkste Fraktion im EP ausbauen. Deutschland entsendet 96 Angeordnete in das EP. Die CDU/CSU hält innerhalb der EVP/ im EP weiterhin 30 Sitze.[1]

Den wirklichen Zuwachs auf der (deutschen) Rechten verzeichnet unübersehbar die faschistische AfD. Sie ist aus der Fraktion der europäischen Rechtsradikalen (ID-Fraktion) rausgeflogen. Grund war, dass die italienischen wie auch französischen Nationalisten und Faschisten das Wüten der SS in deren Ländern zwischen ´39 und ´45 in keiner Form tolerieren. Die Rechtfertigungen durch den Spitzenkandidaten Maximilian Krah gab offenbar den Ausschlag. Die AfD „stärkt“ nun die „Fraktionslosen“. Sie hält 15 (vormals 9) Sitze.

Die Liberalen, Fraktion Renew Europe, der aus Deutschland die FDP und die „Freien Wähler“ angehören, hält nun nur noch 79 von ehemals 102 Sitzen. Die deutsche Vertretung (FDP)verstärkt sich um eine Abgeordnete, Frau Dr. Strack-Zimmermann.[2]

Der Fraktion ID (Identität und Demokratie, Euro-Faschisten) gehört nach dem Rauswurf der AfD keine deutsche Partei an. Sie besteht aus: Vlaams Belang (Deutsch-Belgische Separatisten), Rassemblement National (Frankreich), Lega (Italien), MENL (Estnien) (Stand etwa bis Wahl 2024). ID erzielt mit ihrem antieuropäischen Kurs ein Plus von 9 Sitzen auf nun 58 (49).

Unklar bleibt, was die Fraktion EKR, sich selbst als „Europäische Konservative und Reformer“ bezeichnend, von der ID-Fraktion unterscheidet. Der EKR gehören u.a. Victor Orbans Fidesz (Ungarn), Melonis Fratelli d’Italia und die PiS des Jarosław Kaczyński an, die nach der Wahlniederlage in Polen nun geschwächt ins EP zieht.
Diese beiden Fraktionen verbergen ihre Europa- und Demokratiefeindschaft kaum. Die EKR verbessert sich um 4 Sitze, nun 73 (69).

Rechts verbessert das Ergebnis – aber ein Erdrutsch war das nicht

Die Parteien der Rechten (unter Einschluss der EVP) kamen 2019 auf 396 Sitze von 705, die Parteien der liberalen Demokraten und Linken kamen auf 247 Sitze. Die NI (Fraktionslose) als „Sammelsurium“ lassen sich politisch schwer einordnen. Diese Fraktion verlor mit der Wahl 2024 und erzielen noch 45 Sitze (62). Einen Anteil in dieser Gruppe hält derzeit die AfD. Sie entsendet 15 Abgeordnete ins EP.

Das neue Parlament setzt sich also aus 396 von 720 Sitzen fürs Konservative bis Rechtsaußen-Lager zusammen. Zählen wir hierzu die derzeit fraktionslosen Abgeordneten der deutschen Faschisten, wären das 411 Sitze.

Demgegenüber stehen mit der aktuellen Wahl ´24 an Sitzen außerhalb des rechten Spektrums 224. Wir dürfen die neuen, eher dem linken Lager zuzurechnenden Parteien BSW und PDF, sowie der bisher in der „Fraktion“ der Fraktionslosen angesiedelten Abgeordneten von „Die Partei“ (2) hinzuzählen und kommen so auf Plus 9, also 233 Sitze.  Ein „Rechtsruck von biblischen Ausmaßen“ wie er an die Wand gemalt wird, scheint das nicht zu sein. Innerhalb des EP scheinen die Verschiebungen der Lager eher undramatisch. Die Ablösung der Rechtsradikalen PiS–Regierung, Regierungswechseln in Ländern wie Schweden und so weiter, ebnen Erfolg und Misserfolg im Europa-Maßstab / EP ein. Wir beobachten also, europaweit haben sich die Sozialdemokraten halbwegs ordentlich „geschlagen“, der Verlust der S&D Fraktion ist vergleichsweise gering. Hingegen ist der Einfluss der deutschen Vertretung (SPD) in der EP-Fraktion gesunken. Die deutsche SPD verliert ob ihres historisch schlechten Ergebnisses erneut zwei Sitze, 14 (16). Gegenüber 2014 hatte die Partei bereits 2019 11 Sitze verloren.[3]

Wirklich desaströs ist das Ergebnis für die Grünen, und das haben in erster Linie die „Germans“ zu verantworten. Die Zahl der deutschen Abgeordneten GRÜNE/EFA Fraktion  sank von 21 auf gerade noch 12 Abgeordnete. Die Partei steht vor einem Trümmerhaufen, sie hat fast die Hälfte ihrer Wählerschaft verloren. Zu den Gewinnern in dieser Fraktion gehört „Volt“. Es bleibt offen, wie diese paneuropäische Partei einzuordnen ist, denn die Niederländer scheinen der Fraktion „Renew Europe“ anzugehören, während die deutsche Sektion den Schulterschluss zu GRÜNE/EFA hält. Sie verbesserten sich um zwei Sitze, von einem auf drei. Die ÖDP hält weiterhin einen Sitz. Insgesamt und europaweit fiel Grün von 71 auf 53 Sitze.

Ebenfalls, aber insgesamt noch relativ glimpflich, ging die Wahl für die Partei DIE LINKE aus. Trotz herber Verluste hält die Fraktion europaweit weiterhin 36 von 37 Sitzen. Die deutsche Partei DIE LINKE verlor mehr als die Hälfte ihrer Wählerschaft. Aber: Mit der neuen MdEP Carola Rackete zieht eine ausgewiesene Umwelt-, Klima- sowie Menschenrechtsaktivistin in das EP ein.

Wir haben unsererseits (Grüne Alternative e.V.) die Empfehlung abgegeben, links von der CDU/CSU in Deutschland zu wählen und insbesondere darauf hingewiesen, dass es für Wähler*innen Sinn machen kann, im Falle der Europawahlen ohne 5 % Sperre, kleinere Parteien zu wählen. Dieser Tipp ist nahe an dem nun vorliegenden Wahlergebnis orientiert, sinnvoll gewesen.

Zu den Wahlgewinnern der kleinen/neuen Parteien, gehören „Volt“ (+2 Sitze) und besonders „BSW“ (+6 Sitze), sowie die „PdF“ (Partei des Fortschritts, 1 Sitz) – letztere ziehen erstmals ins Parlament ein. Die Partei BSW erzielte bei der Europawahl beachtliche 6,2% – allen Diffamierungen zum Trotz. Während Volt Deutschland der Fraktion GRÜNE/EFA treu bleiben dürfte, erwarten wir mit Spannung, ob und wem sich die Parteien BSW und „PdF“ anschließen werden.

Alle anderen kandidierenden Parteien (die wir teilweise erwähnten) haben es nicht in das neue EP geschafft, andere haben den Wiedereinzug verpasst.

Diese Parteien summieren ihr Potential auf ca. 3 %. Von besonderem Interesse ist das Abschneiden der dezidiert klimaorientierten Parteien „Klimaliste“ (0,1 %) und „Letzte Generation“ (0,3 %). Deren Ergebnisse werfen Fragen auf. Ebenso das Abschneiden von MERA25. Diese Parteien nehmen für sich in Anspruch, parlamentarische Vertretung von Movements/Bewegungen zu sein. Da scheint es an Überzeugungskraft, besonders in die „eignen Reihen“, zu fehlen. Die Bewegungen jedenfalls dürften deutlich stärker sein, als es die 0, irgendwas Promille dieser Parteien suggerieren.

Der ohne jeden Zweifel festzustellende Rechtsruck in Europa ist deshalb so besorgniserregend, weil die europäischen Nationen, voran die bevölkerungsreichsten, entschieden nach Rechts marschieren. Das äußert sich nicht allein in der Stärke faschistischer Parteien in diesen Ländern. Da wo sie noch nicht regieren, beobachten wir eine beschleunigt fortschreitende Faschisierung der gesamten bürgerlichen Regierungspolitik. Das spiegelt sich in der Schärfe (noch) nicht im EP. Da werden unterdessen Maßnahmen umgesetzt, die Rechtsaußen bereits seit 10 Jahren fordert.

Das Beben – Frankreich

Während die „Ampel“ offenbar den Wunsch hat, die Probleme weiter auszusitzen, zieht Macron in Frankreich die Notbremse und öffnet zu Neuwahlen. Unter taktischen Gesichtspunkten dürfen wir uns gewiss fragen, ob der von Macron gewählte Schritt klug ist. Was erwartet Macron, dessen Partei zurzeit abgeschlagen bei 14 % Wählerpotential liegt? Ist das die Machtübergabe an Französisch-Rechtsaußen?[4]

Wie auch immer das ausgeht – Macron gesteht die tiefgehende Krise unumwunden ein, und es steht zu hoffen, dass das demokratische und politisch Links stehende Lager in Frankreich nun – endlich – den Kampf aufnimmt. Über den Ausgang wagen wir keine Prognose. Übertriebener Optimismus ist fehl am Platze.

Ein Beben in Deutschland?

Der russische Revolutionär Lenin, war es, der den Charakter der Deutschen nicht ganz unzutreffend mit den Worten beschrieb „… wenn der Deutsche einen Bahnhof stürmt, löst er zuvor eine Bahnsteigkarte …“. Also – mit anderen Worten. Also – mit anderen Worten, ist angesichts des desaströsen Wahlergebnisses der deutschen Sozialdemokratie und der GRÜNEN mit einem politischen Beben zu rechnen? Auch wenn wir der Meinung sind, dass dies nicht ausgeschlossen ist, beobachten wir in erster Linie verwundert, dass so überhaupt gar keine brauchbaren Statements der Sozialdemokratie und der GRÜNEN zu vernehmen sind.[5]

Stattdessen sattsam bekannte Durchhalteparolen und Schönreden. Da gibt es tatsächlich etwa Leute, die vom „drittbesten Wahlergebnis der Grünen“ schwadronieren …
Sowohl SPD als auch GRÜNE, offensichtlich unter Schock stehend, verbreiten ungeniert, „Fehler“ – das Wort – wie buchstabiert man das???

Die SPD-Führung zeigt sich bestürzt und enttäuscht angesichts der Niederlage, erkennt diese an.[6]

Welche Lehren werden gezogen? Die SPD-Führung hält ihre Politik in erster Linie für ein Problem der „Kommunikation“. Auf den Gedanken, das man „seinen“ Leuten, also Wähler*innen und engagierten Mitgliedern seit weit mehr als zwei Jahrzehnten vors Schienenbein tritt, und sich genau das irgendwann einmal rächen muss, kommen diese Leute nicht. Das hat mit Kommunikation eher weniger zu tun. Die Wähler*innen wollen einfach nicht mehr für blöd verkauft werden und wenn „die alte Dame“ Sozialdemokratie das – es steht zu befürchten – nicht kapiert, ist der Boden bei 14Prozent noch nicht erreicht.

Den Vogel schießen mal wieder die GRÜNEN ab. Ob in Zweifel gezogen werden kann, dass ein Rezzo Schlauch (weniger) und ein Daniel Mack (mehr) einfach nur ausplappern, was das GRÜNE Führungspersonal in feucht-fröhlichen Träumen denkt, ohne es offen aussprechen zu wollen, sei mal dahingestellt. Jedenfalls verkünden ein Rezzo Schlauch und ein Daniel Mack, dass die GRÜNEN immer noch nicht weit genug RECHTS stehen – und dies, nachdem diese „Realo-Politik“ der Partei gerade die Hälfte ihrer Wählerschaft gekostet hat. Das – ja, das nennen wir einen absoluten Höhepunkt der „Realpolitik“.[7] Als nächstes ist vermutlich die Schuldzuweisung zu erwarten, die grün-linke „Resterampe“[8] bei den GRÜNEN sei jetzt auch noch schuld an dem gerade zu beobachtenden Wahldesaster.
Ein Wort zur Ehrenrettung. Im Vergleich zu den Deutschland GRÜNEN sind die deutschen Europa-Grünen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, mit ihrer inhaltlich konstruktiven Arbeit nicht das Problem. Also die „linken“ Euro-Grünen werden derzeit für die völlig rechtsdrehende Politik ihrer lokal-deutschen Kolleg*innen abgestraft.

Die deutsche Jugend wählt rechts?

Ein Beispiel für Wahlanalysen aus Absurdistan soll erwähnt werden. Zurzeit wird kolportiert, „die“ (!) Jugend wähle „neuerdings“ Rechts. Dieses Märchen wird selbst von „Qualitätsjournalist*innen“ verbreitet. Zunächst: es gibt seit jeher eine rechtsradikal-faschistische Jugendbewegung. Das war schon ein Problem, um mal einen zeitlichen Rahmen zu benennen, in dem der Begriff auch halbwegs verwendbar ist, ab der Weimarer Republik. Sich nun hinzustellen, und sich angesichts 16 % junger Wähler*innen der AfD „überrascht“ zu zeigen und dies, wie mancherorts auch noch „den Linken“, „den Grünen“ oder wem auch immer, in die Schuhe schieben zu wollen, ist natürlich grotesk. Die Wirklichkeit sieht ein wenig anders aus. Während die Rechte, auch unter jungen Rechten, in der AfD eine erfolgversprechende Perspektive sieht (die sie vorher seit `45 nie hatte), und die Wahlurnen stürmt, kann man von den Parteien des demokratisch-linken Lagers genau das Gegenteil vermelden. Die schaffen es nicht (mehr) ihre Wähler*innen an die Urne zu bringen. Dass dies damit zusammen hängt, dass man die Interessen der eigenen Wählerschaft nicht nur mit Füßen tritt, sondern im „Kompromiss“-Eifer geradezu „Bomben“ ins eigene Lager schmeißt (guten Morgen Herr Hofreiter), kommt den Oberakteuren nicht in den Sinn.

Wie weiter?

Ja – wenn wir darauf eine Antwort hätten … Wir sollten es mal mit einigen Fakten versuchen und ein Fakt ist, dass die Probleme, die unsere „Altlinken“ Freunde, die Physiker, Umwelt- und Friedensfreunde, Klimaforscher, Menschenrechtsaktivist:innen, etc., als Menschheitsprobleme seit langem „geoutet“ haben, mehr denn je bedrücken. Statt deren Reformansätze für „veraltet“ zu erklären – Neustart – vielleicht? Bis zur Bundestagswahl ist nicht mehr viel Zeit. Das Vertrauen in das bisherige Personalangebot der Parteien links der Mitte ist, nicht nur in Deutschland, ziemlich dahin. Es ist an der Zeit, intensiv eine parteiübergreifende Vernetzung der politisch engagierten anzusteuern, und sich über eine klare Ansage zur Wahl zu verständigen. Die 5%-Klausel in Deutschland zwingt dazu. Vielleicht gelingt es uns, von Polen und – hoffentlich – Frankreich zeitig zu lernen.
„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann“ (Picabia).


[1] Siehe dazu Vergleichstool „results election“. Übersichtlicher Vergleich der Wahlergebnisse der Europawahlen, Sitzverteilungen., nationale Ergebnisse, Sitzverteilung etc.

[2] Bundeswahlleiterin, gewählte Kandidat*innen

[3] Siehe Bundeswahlleiter

[4] Zu den Wahlverhältnissen siehe ZDF heute.

[5] Die FDP als Teil der Ampel lassen wir unerwähnt, jedweder Kommentar erübrigt sich

[6] Barley und Klingbeil zum Wahlergebnis

[7] Tagesspiegel, Grüne nach Absturz nach Europawahl, Gastbeitrag von Mack und Schlauch

[8] Wir möchten darauf hinweisen, dass die gewählte Wortwahl an gewissen Stammtischen der Grünen Pateirechten kolportiert wird. Sie gibt nicht unsere Meinung wieder (GA).

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