Gedanken von – und zu – Franz Josef Degenhardt

Ich (Bernhard Pfitzner) habe in einer mail an einen „alten Genossen“, dem die Lieder von Franz Joseph Degenhardt viel bedeuten (wie mir auch) einige Überlegungen dazu zusammengeschrieben (inkl. den Links zu den entsprechenden Liedern).

Für die Eine oder den Anderen von Euch mag das von Interesse sein; und ich freue mich, wenn ich darauf die eine oder andere – gern auch kontroverse – Antwort erhalte.
Besten Gruß, Bernhard


Ich unterteile in

  1. Was (natürlich: für mich) bleibt?

und

  1. In welchen Punkten wir uns (aus meiner Sicht) emanzipieren sollten.

Was (natürlich: für mich) bleibt?

Für mich ist Degenhardt vor allem anderen der Sänger der unverhandelbaren „roten Wut“, etwa in seinem „Fast autobiographischer Lebenslauf eines westdeutschen Linken“

darin u.a. ein immer wieder auftauchendes Motiv: das „Deutschland der Naziväter …“ Diese rote Wut macht ihn absolut resistent gegenüber einer Überbewertung von Teil-Erfolgen: „Geschichte, vorläufige Geschichte eines jungen Kommunisten“

„Ist er zufrieden? Ja ist er, nein ist er, ja ist er, nein ist er, ja ist er, nein ist er, wie das so ist als Kommunist.“ In diesem Lied übrigens die einzige mir bekannte positive Erwähnung von Gewerkschaften (ich komme darauf weiter unten zurück):
„weil er nach oben und sonst auch die Schnauze nicht hält, haben sie ihn zum Vertrauensmann und in´ Personalrat gewählt. Gewerkschaftlich hat er sie alle jetzt organisiert, auch den Inspektor, der transzendental meditiert.“
Zwei mir wichtige Punkte will ich noch ansprechen:
Das Verhältnis zu „unserem Land“ – das eben nicht nur das der Naziväter ist „Unser Land“

darin „Dies Land ist unser Land — So wie es ist, so wie es kommt, so wie es war.“ Aber eben auch „von ihrem Großkotz Deutschland zwischen Maas und Memel, Etsch und Belt, ist ihnen bloß der Rest geblieben, zwischen Elbe, Alpen, Rhein“
Gleichzeitig (!!) der Internationalismus.
Ich führe hier nur ein Lied von vielen an, das mir deshalb wichtig ist, weil er sich darin mit einer falschen Frontstellung auseinandersetzt: „Ja, das ist die Sprache der Mörder“

„Bei aller Wut – Vergeßt das nicht“
In welchen Punkten wir uns (aus meiner Sicht) emanzipieren sollten

Ich habe oben von der „roten Wut“ geschrieben. Und bei dieser roten Wut setzt mein „Ja, aber …“ ein. (Dabei ist mir wichtig, dass das „aber“ das „Ja“ nicht übertrumpft, sondern ergänzt!) Wenn ich es richtig sehe, hat Degenhardt sein „Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf“

später so nicht wiederholt. Aber ich meine auch in vielen seiner späteren Lieder untergründig doch diese Verabsolutierung herauszuhören.
Das betrifft zum Einen sein Verhältnis zur Sozialdemokratie:
So sehr ich z.B. die „Mutter Mathilde“

schätze, so falsch/desorientierend finde ich die Passage „Na, und Mutter Mathilde, die kennt seit paar Jahr‘n zum Beispiel einen Sozialdemokrat, der aber (!) noch (!!) nicht so (!!!) verkommen war und auch ein sehr wichtiger Mann bei der Stadt.“
(Um einem möglichen Missverständnis zuvor zu kommen: Ich fühle mich durch diese Passage nicht persönlich berührt, wenn ich mich auch heute gelegentlich als „bekennend parteiloser linkssozialdemokratischer Realo“ bezeichne. Mein Einwand betrifft einen anderen Punkt:)
Bündnispolitisch ist es fatal, wenn SozialdemokratInnen unter Generalverdacht gestellt werden („Wer hat uns verraten …“).
Wenn das – wie im Lied – selbst dort geschieht, wo mit ihnen zusammengearbeitet wird, ja von ihnen sogar der Erfolg in einer Auseinandersetzung abhängt, ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Sektierertum.

  • Ich habe oben die einzige mir bekannte positive Bezugnahme auf Gewerkschaften erwähnt.

Wenn ich es richtig sehe, verstellt die Rote Wut Degenhardt gelegentlich den Blick auf eine realistische Einschätzung von Kompromissen, die ja in betrieblichen/gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen höchstens (!) erreicht werden können.
Und so werden (nicht nur) im „Rudi Schulte“

und in der „Natascha Speckenbach“

beeindruckende Porträts von AktivistInnen gezeichnet, aber der Erfolg ist doch fast ausschließlich von ihnen abhängig. (Auch hier will ich einem möglichen Missverständnis zuvorkommen:
Wenn meine Arbeit als Personalrats-Mitglied und zeitweiliger -Vorsitzender (in meiner Zeit als Studienreferendar) auch schon einige Jahrzehnte zurückliegt, weiß ich natürlich noch, dass Erfolge kaum denkbar sind, wenn nicht EineR bereit ist, „den Kopf aus dem Fenster zu halten“.
Das ist dann aber in einer Auseinandersetzung die Spitze des Eisbergs; die mindestens ebenso wichtige Arbeit besteht in – oftmals sehr zäher – Überzeugungsarbeit.)
Ich will die Stelle in der „Natascha Speckenbach mit den „Psychologen von der ‚Schöner Arbeiten AG‘“ nicht überstrapazieren, aber doch anmerken:
Maßnahmen der „Humanisierung der Arbeitswelt“ hatten (von Seiten der Geschäftsführungen) sicherlich (fast) immer das Ziel einer Produktivitätssteigerung.
Aber darauf lassen sie sich eben – jedenfalls in vielen Fällen – nicht reduzieren.
Und für betriebliche/gewerkschaftliche InteressenvertreterInnen können/ konnten sich daraus sehr komplizierte Situationen ergeben – weil nämlich verschiedene Beschäftigte unterschiedlich darauf reagierten (teilweise ja auch unterschiedlich davon profitierten).
Da war die Rote Wut sicherlich ein wirksames Gegenmittel gegen ein Übersehen der Intentionen der Geschäftsführungen (die allerdings oftmals auch keineswegs monolithisch waren – ArbeitsdirektorInnen waren ja z.T. „unsere Leute“).

  • Nun hat ja Degenhardt selbst „vor der Hast (gewarnt), … wenn wilde Wut die Köpfe schnürt“: „Ballade von Joß Fritz“

Mit diesem Hinweis will ich überleiten zu einem weiteren Punkt, den ich aber hier (noch) nicht weiter ausführen werde:
Der „historische Optimismus“ Im Moment dazu nur soviel: In „Am Grab“

singt Degenhardt: „und das hat ja nun nicht geklappt …“ Mir ist nicht bekannt, ob er sich zu Ursachen geäußert hat.
Ich sehe da – sowohl bei der tatsächlichen Entwicklung als auch bei seinen/unseren früheren Fehl-Einschätzungen der Entwicklung des „real existierenden Sozialismus“ – Zusammenhänge mit der Roten Wut.
Aber das ist dann eine andere Geschichte, zu der ich mich im Rahmen dieser mail nicht mehr weiter äußere, um nicht vollends den Rahmen zu sprengen.
Ich komme aber gern (!) darauf zurück.

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