Die CDU und der Antisemitismus

Von Dietrich Schulze-Marmeling, 14.2.2025

Auf dem „Krönungsparteitag“ der CDU kritisierte Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Großdemonstrationen gegen die gemeinsame Abstimmung der Unionsparteien mit der AfD. Merz: „Ich sage denen, die hier unterwegs waren: Ihr habt euch im Datum und ihr habt euch im Thema geirrt. Ihr hättet zu einem ganz anderen Zeitpunkt in Deutschland auf den Straßen in dieser großen Zahl unterwegs sein müssen.“ Merz bezog sich damit auf Pro-Palästina-Demos, auf denen antisemitische Parolen skandiert worden waren.
Auch CDU-Schatzmeisterin Julia Klöckner bemängelte fehlendes Engagement gegen Antisemitismus:  „Es wäre besser, eine Demo gegen Gewalt in diesem Land zu veranstalten, besser eine Demo gegen Judenhass in diesem Land zu veranstalten, als gegen eine verdiente Volkspartei zu demonstrieren.“
Mal abgesehen davon, dass „Gewalt in diesem Land“ vornehmlich aus dem AfD-Milieu kommt bzw. von Rechtsextremisten verübt wird: Deutschland ist die europäische Hochburg des Rechtsterrorismus. Selbige Klöckner hatte wenige Wochen zuvor in den sozialen Medien ihre inhaltliche Übereinstimmung mit der AfD-Wählerschaft erklärt: „Für das, was ihr wollt, müsst ihr nicht die AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.“

Was die AfD-Wählerschaft will, weiß mensch bereits seit Jahren. Antisemiten gibt es in der Wählerschaft aller Parteien – aber den mit Abstand größten Prozentsatz verbucht hier die AfD. Im Juni 2018 stimmten bei einer Umfrage von Allensbach 55 Prozent der AfD-Wähler der Aussage zu, dass „die Juden zu viel Einfluss in der Welt“ hätten. Bei den Wählern der anderen Parteien waren es 16 bis 20 Prozent. Im November 2019 kam eine Umfrage von Forsa ebenfalls zu dem Ergebnis, dass antisemitisches Gedankengut unter den Anhängern keiner anderen der im Bundestag vertretenen Partei so populär ist wie unter denen der AfD. So hielten 15 Prozent der AfD-Wähler den Holocaust für „Propaganda der Sieger“. Unter allen Wählern waren es zwei Prozent. Die Leipziger Autoritarismus – Studie 2024, zunächst als Mitte-Studie der Universität Leipzig bekannt geworden, gelangt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Zwischen den Parteien finden wir deutliche Unterschiede. Unter den Wählern der AfD besteht die höchste Zustimmung zu antisemitischen Ressentiments auf allen fünf Dimensionen. (Anm. d. A.: Die Studie untersucht folgende fünf Dimensionen: Tradierter Antisemitismus, Israelbezogener Antisemitismus, Schuldabwehrantisemitismus, Postkolonialer Antisemitismus, Antisemitischer Antizionismus.)

Was interessiert mich das Geschwätz von knackalten Menschen

Gegen den parlamentarischen Schulterschluss der Unionsparteien mit der AfD protestierten auch einige der letzten Holocaust-Überlebenden.

Albrecht Weinberg, der die Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen überlebte, gab sein Bundesverdienstkreuz zurück.

Dr. Leon Weintraub und Evamaria Loose-Weintraub schrieben Friedrich Merz einen offenen Brief: „Voller Schrecken verfolgen meine Frau und ich ihre derzeitige Politik. Als 99-jähriger Überlebender vom KZ Auschwitz und Häftling in Flossenburg-82702 sowie auch andere Lagern wende ich mich an Sie, Herr Merz, mit der dringenden Bitte, dieses menschenfeindliche Zustrombegrenzungsgesetz nicht länger zu behandeln. Dringende Korrekturen in der Migrationspolitik sind sicherlich notwendig. Aber doch bitte nicht in der von Ihnen durchgeführten verfassungswidrigen und rechtsradikalen Form. (…) Die Folgen ihrer derzeitigen Politik führen bereits schon wieder zu einer Fremdenfeindlichkeit und Polarisierung in der Gesellschaft, die wir Überlebenden des Holocaust so bitter am eigenen Leibe erfahren mussten.“ 

Auch Eva Umlauf, die als Zweijährige ins NS-Vernichtungslager Auschwitz gebracht worden war, wählte die Form eines offenen Briefs an Merz. Umlauf appellierte an den Kanzlerkandidaten, nicht ein Gesetz gemeinsam mit der AfD zu beschließen: „Tun Sie es nicht, Herr Merz!“ Unterschätzen Sie die Rechtsextremisten nicht. Kehren Sie um auf dem Weg, den Sie am Mittwoch beschritten haben. Gehen Sie auf die anderen demokratischen Parteien zu, finden Sie Kompromisse.“ Was im Bundestag geschehe, werde in die Geschichtsbücher eingehen. „Denn genau so fängt es an, so normalisieren wir die Feinde der Demokratie.“

Laut Hanna Veiler, Vorsitzende der jüdischen Studierendenunion (JSUD) ist ein großer Teil der jüdischen Community in Deutschland sehr wütend darüber, wie es möglich sei, im Anschluss an die Gedenkstunde an den Holocaust im Deutschen Bundestag den Jubel einer in Teilen als gesichert rechtsextrem geltenden Partei zu ermöglichen.

Die CDU-Spitze ließen die Proteste völlig kalt – kein Wort der Erklärung, geschweige denn der Entschuldigung in Richtung der Holocaust-Überlebenden. Was mögen sich Merz und Co. dabei gedacht haben? Dass sich das „Problem“ mit diesen „Super-Holocaust-Überlebenden“ (Ulf Poschardt) ohnehin zeitnah biologisch erledigen wird? Dass man auf diese Menschen nicht länger Rücksicht nehmen muss?

„Der war nie CDU“

Auch zum Parteiaustritt von Michel Friedman, dem ehemaligen 2. Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und Präsidiumsmitglied der CDU, hielt es die CDU-Spitze nicht für nötig, das Gespräch zu suchen. Friedrich Merz fiel hier nichts anderes ein, als auf Neueinritte zu verweisen.

Und Bodo Löttgen, Mitglied des nordrhein-westfälischen Landtags, setze diesen inzwischen gelöschten Tweed ab: „Gestern in Berlin Mordaufrufe zumeist arabischstämmiger Demonstranten gegen Juden. Kein Wort von Michel Friedman oder Luisa Neubauer. Heute Friedman und Neubauer beim sogenannten ‚Aufstand der Anständigen‘ vor der CDU-Zentrale. Mehr muss man zum ‚Anstand‘ der beiden nicht wissen.“

Ganz abgesehen davon, dass Friedmann am Marsch zur CDU-Zentrale nicht teilgenommen hatte – er hatte diesen explizit abgelehnt. Wie kam MdL Löttgen dazu, ausgerechnet Michel Friedman Defizite bei der Bekämpfung von Antisemitismus vorzuwerfen? Der Verdacht liegt nahe, dass Löttgen Friedmanund dessen laute Stimme gegen Antisemitismus, und zwar gegen Antisemitismus aus allen Richtungen, aber auch gegen antimuslimischen Rassismus schon seit längerer Zeit nervte. Und der CDU-Politiker nun die Chance sah, die Glaubwürdigkeit des ewigen Mahners zu attackieren: „Wer zum arabischen/islamischen Antisemitismus schweigt, der möge auch zum hausgemachten schweigen!“

Hier nur ein kleiner Auszug dessen, was an der CDU-Basis und von CDU-Wählern zum Parteiaustritt von Michel Friedmann gepostet wurde, der für einige (?) wohl nur ein geduldeter Jude war:

„Wen interessiert es ob er die CDU verlässt also mich nicht! Reisende soll man nicht aufhalten und vor allem sollte sich die CDU nicht von irgendwelchen Minderheiten erpressen lassen, das hat sich Deutschland lange genug.“

 „Der war nie CDU. Und wenn’s es ihm in Deutschland nicht mehr gefällt, bitte, wir halten niemand.“

„Er kann ja mal mit Kippa durch die Stadt rennen, statt mit Luxuslimousine durchzufahren. Dann ist die CDU oder rechts sein kleinstes Problem.“

Herr Aiwanger hat Platz in Deutschland

Am 25. August 2023 berichtete die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Das Auschwitz-Pamphlet“, Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler (FW) in Bayern und stellvertretender Ministerpräsident des Landes, habe im Schuljahr 1987/88 als Schüler der elften Klasse eines Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg ein zutiefst antisemitisches Flugblatt verfasst, das dann auf der Schultoilette zirkulierte.

Die CSU und die Freien Wähler wussten spätestens 2008 von diesen Vorwürfen, hatten es aber vorgezogen, über diese den Mantel des Schweigens auszubreiten. Vier Tage nach der Enthüllung der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte das TV-Magazin report München des Bayerischen Rundfunks (BR) ein Interview mit einem ehemaligen Mitschüler Aiwangers. Dieser erzählte, dass Aiwanger beim „Betreten des voll besetzten Klassenzimmers“ gelegentlich den Hitlergruß gezeigt und „Witze über Juden und das KZ Auschwitz“ erzählt habe. Aiwangers politische Haltung sei „von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt“ gewesen.

Aiwanger stilisierte sich nun als Opfer einer Kampagne. Bei den bayerischen Landtagswahlen am 8. Oktober 2023 wurde seine radikal-antisemitische Vergangenheit (?) mit einem Stimmenzuwachs von 3,9 Prozent honoriert. Aiwanger gewann ein Direktmandat und wurde in der Regierung von Markus Söder stellvertretender bayerischer Ministerpräsident sowie Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie.

Von wegen „Antisemitismus hat keinen Platz in Deutschland“, wie Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober 2023 bei einem Besuch in Israel versicherte. Dies gilt schon gar nicht in Bayern, wo es erst 1994, also 48 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, ein CSU-Ministerpräsident gewagt hatte, das ehemalige KZ Dachau aufzusuchen. Denn Solidarität mit den Opfern des NS-Regimes konnte auch noch in den 1990ern beim CSU-Wahlvolk Stimmen kosten.

Aber dank eines von arabischstämmigen Migrant:innen gefeierten antisemitischen Massakers waren die Deutschen ohne migrantischen Hintergrund wenige Wochen nach der Landtagswahl in Bayern vom Verdacht des Antisemitismus befreit. 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland den Antisemitismus nur noch als Importware.

CDU-Chef Friedrich Merz instrumentalisierte das Massaker für Stimmungsmache gegen Migrant:innen. Merz sprach sich für neue Einbürgerungsregeln aus, die eine Anerkennung Israels zur Bedingung erklären. Ging es Merz hier tatsächlich um die Bekämpfung von Antisemitismus?

Anfang Dezember 2023 nahm als erstes Bundesland Sachsen-Anhalt den von Friedrich Merz gespielten Ball auf. Nach einem Erlass des Innenministeriums winkte Migrant:innen eine Einbürgerung jetzt nur noch, sofern sie sich zum Existenzrecht des Staats Israel bekannten.

Die Träger und Akteure des ostdeutschen Antisemitismus sind allerdings keine Migrant:innen, sondern „echte Deutsche“. Der Erlass des CDU-geführten Innenministeriums von Sachsen-Anhalt steht einer Koalition der CDU mit der AfD nicht im Wege. Er bildet keine Brandmauer gegen eine Kooperation der Konservativen mit den Rechtsextremisten. Der Antisemit ohne migrantischen Hintergrund ist nicht betroffen, er wird ja gar nicht gefragt.

Im Januar 2024 tagte die CSU im Kloster Seeon. Im Beschlusspapier ihrer Winterklausur schlug die Partei härtere Strafen in Sachen Antisemitismus vor. Zwecks Verkündung des Beschlusses traten Ministerpräsident Markus Söder und Alexander Dobrindt vor die Presse. Dobrindts Aufmerksamkeit galt in erster Linie dem „importierten“ Antisemitismus, also jenem Antisemitismus, der die CSU von der Aiwanger-Affäre befreit hatte.

Es war noch gar nicht so lange her, dass die CSU von einer Orbanisierung Deutschlands und Europas träumte und sich dabei mit einer Regierung solidarisierte, die aus Rechtspopulisten und Rechtsextremisten bestand. Noch 2018 war Orbán Stargast der Partei gewesen. Dobrindt interpretierte Orbáns Wahlsiege als Erfolg einer klassisch „bürgerlich-konservativen“ Politik. Diese basierte wesentlich auf einer antisemitischen Kampagne gegen die angeblich vom Juden und Shoah-Überlebenden George Soros angeführten „liberalen Eliten“. Soros avancierte zum Staatsfeind Nr. 1. Für Orbán war der Milliardär und Philanthrop der Hintermann der „Flüchtlingskrise“: Soros wolle mit dem sogenannten Soros-Plan Europa mit Flüchtlingen „überschwemmen“. „Soros‘ angebliche finstere Umtriebe sind dabei das zu werden, was die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ für viele Jahrzehnte waren: die antisemitische Verschwörungstheorie für alle Zwecke“, schrieb Jonas Schaible in Capital. Für seine Freunde in der CSU war das aber kein Problem.

Doch damit nicht genug: Dobrindt forderte eine „konservative Revolution“, ein Begriff, der seit Weimar vorbelastet ist. Die „Konservative Revolution“ ein Sammelbegriff für politische Kräfte, die die Weimarer Republik bekämpften, folglich antidemokratisch, antiliberal und ultra-nationalistisch gesinnt waren und einen „deutschen Faschismus“ wollten – in Abgrenzung zum Konservativismus der Zentrumspartei wie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Eine Reihe von Akteuren der „Konservativen Revolution“ waren Rassisten und Antisemiten. Die Geschichtswissenschaft betrachtet diese Kräfte als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg propagierte der Schweizer Armin Mohler eine „Konservative Revolution“. Mohler firmiert als ein Vordenker der Neuen Rechten. Für den Historiker Volker Weiß changierte der Publizist „Zeit seines Lebens zwischen Nationalsozialismus, europäischem Faschismus und Radikalkonservatismus“.

Können sich die deutschen Juden auf einen „Anti-Antisemitismus“ verlassen, der Antisemitismus primär als importiertes Problem betrachtet und diesen für die hiesige Migrations- und Asyldebatte instrumentalisiert, Ausflüge in den Rassismus eingeschlossen? Wie ehrlich und nachhaltig ist dieser „Anti-Antisemitismus“? Handelt es sich hierbei vielleicht mehr um einen „Erlösungs-Anti-Antisemitismus“? 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus sind Antisemiten nur noch die anderen.  

Und: Wer am Tag des Holocaust-Gedenkens kein Problem damit hat, im Bundestag gemeinsam mit Rechtsextremisten und Antisemiten zu stimmen, der sollte beim Thema Antisemitismus nicht auf andere zeigen.

Sauerländer Jungs: Der Friedrich….

Ich gebe es ja zu: Ich hege gewisse Vorbehalte gegenüber Sauerländern. Mit dem Bundespräsidenten Heinrich Lübke fing es an. Dessen NS-Vergangenheit störte mich zunächst weniger als seine Behauptung, er habe beim umstrittenen „Wembleytor“ den Ball im Netz zappeln sehen. Zu meiner Entlastung: Zum Zeitpunkt des WM-Finales 1966 war ich erst 9 Jahre alt und Bürger des Ruhrgebiets – und genervt von diesen vielen Talsperren und Tropfsteinhöhlen, mit denen ich mich im Heimatkundeunterricht beschäftigen musste. Zechen und Stahlwerke fand ich deutlich interessanter.

Wenn wir es mit Friedrich Merz gut meinen, dann mangelt es dem Mann lediglich an Empathie und historischer Tiefe. Aber angesichts der eisigen Kälte, mit der Merz die mahnenden Stimmen der Holocaust-Überlebenden und anderer Teile der jüdischen Community bedachte, muss man dann doch noch einmal die Geschichte mit seinem Nazi-Opa erzählen. Wobei niemand für seinen Nazi-Vater oder Nazi-Opa verantwortlich ist.   

Als 2004 im Brilon Kommunalwahlen anstanden, rief sein damals 48-jähriger Enkel Friedrich dazu auf, das „rote Rathaus“ zu stürmen. 2004 war Brilons Bürgermeister der Sozialdemokrat Franz Schrewe.

Merz erfüllte es „mit tiefem Grausen“, dass ein Sozialdemokrat auf dem Chefsessel saß. „Das muss beendet werden“. Warum? Weil sein Großvater früher Bürgermeister von Brilon gewesen sei – von 1917 bis 1937.

Zu Großvaters Zeiten war im Sauerland die Welt noch in Ordnung. Die Nazis hatten die „roten Rathäuser“ erfolgreich gestürmt, die SPD war verboten, führende Sozialdemokraten hatten das Land verlassen, saßen im KZ oder waren von den Nazis ermordet worden. Konkurrenz hatte Josef Paul Sauvigny also nicht zu befürchten. Nach der Machtübernahme der Nazis war Sauvigny von katholischen Zentrumspartei zur NSDAP übergelaufen. 1933 hatte das Zentrum dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt, anschließend löste sich die Partei auf.

Sauvigny war nicht nur ein Mitläufer, sondern ein überzeugter Nationalsozialist Er pries öffentlich den „Führer“ und die „nationale Revolution“, die ein „Sturm“ gewesen sei, der das Land von den „giftigen Dünsten“ einer „missverstandenen Freiheit“ gereinigt habe. Josef Paul Sauvigny ließ zwei Straßen in Brilon in „Adolf Hitler-“ und „Hermann-Göring-Straße“ umbenennen. 1937 räumte er den Chefsessel im Rathaus aus Altersgründen. Die „Sauerländer Zeitung“ schrieb zum Abschied: „Sein Amt verwaltete er stets im nationalsozialistischen Geiste“.

Aus dem Rathaussturm 2.0 wurde allerdings nichts. Franz Schrewe blieb bis 2014 Bürgermeister. In den 15 Jahren seiner Amtszeit entwickelte sich die alte Hansestadt Brilon zur Kulturstadt des Sauerlandes. 2015 ernannte ihn der Rat der Stadt Brilon zum Ehrenbürgermeister.

Patrik Schwarz, heute Chefredakteur der Länderausgaben der „Zeit“, schrieb damals über den seltsamen Stolz des Friedrich Merz (veröffentlicht in der tageszeitung und auf hagalil.com): „Für seinen Opa kann keiner was. Nicht die NS-Vergangenheit des Großvaters ist darum das Problem, sondern die Haltung des Enkels. Der Fall Merz zeigt, dass man selbst nach allen NS-Debatten der letzten Jahre noch irritierend gleichgültig gegenüber der deutschen Geschichte sein kann. Dass Merz sich mutmaßlich zu Unrecht kritisiert glaubt, dass er seine Verweise auf die Erfolge des Großvaters für arglos hält, dass er im Treuebekenntnis zu seinem Vorfahr gar eine Tugend sehen mag, glaubt man ihm sofort. Doch gerade darin liegt begründet, was fassungslos machen kann: Da hat einer es bis zum Oppositionsführer im Deutschen Bundestag gebracht, hat vermutlich mehr Gedenkstunden für die Opfer des Nationalsozialismus mitgemacht als die meisten Historiker und verhält sich doch so, als hätte er von der schuldhaften Verstrickung der Funktionseliten im Dritten Reich noch nie etwas gehört. Mein Bürgermeister war es nicht, Adolf Hitler ist es gewesen.

Der Mann, der so gerne Nationalstolzdebatten anzettelt, trägt ein Geschichts- und Familienbild in sich, auf das kein Deutscher stolz sein sollte. Von Unbedachtheit kann bei Merz Einlassungen zu Josef Sauvigny jedenfalls keine Rede sein. Nicht nur spontan, einmalig und zur Gaudi von 160 Parteifreunden berief sich der CDU-Politiker auf den Dritte-Reichs-Funktionär.

Vorsichtig formuliert verrät Merz damit ein verblüffend ungebrochenes Traditionsbewusstsein, zumal als Repräsentant einer Partei, die zu Recht für sich reklamiert, mit der antidemokratischen Tradition der deutschen Rechten gebrochen zu haben. Gerade wenn einer wie Merz von Leitkultur redet und einen Mangel an nationalem Bewusstsein nach 68 beklagt, dann muss die Abgrenzung zum Nationalsozialismus umso unzweideutiger ausfallen. Tut sie das nicht – und Merz Einlassungen sprechen dagegen -, dann ist der Redner eine Blamage für das Parlament, in dem er Sitz und Stimme hat.“

Friedrich Merz erklärte nun, dass sein Großvater keineswegs sein größtes politisches Vorbild sei.

…und der Aki

Aki Watzke, Geschäftsführer von Borussia Dortmund, besitzt die unangenehme Eigenschaft, sich großspurig über Themen auszulassen, von denen er keine Ahnung hat.

So kritisierte er in populistische Manier die vom DFB betriebene Reform des Kinderfußballs, weil diese angeblich das Toreschießen und Gewinnen untersage. Kompletter Unsinn.

Was aber seinen Kumpel Merz nicht daran hinderte, 16 Monate später diesen Unsinn auf einer Wahlkampfveranstaltung zu wiederholen. Weil die Geschichte so schön zur Erzählung von der nachlassenden Leistungsbereitschaft in Deutschland passte.

Nun äußerte CDU-Mitglied Watzke „völliges Unverständnis“ dafür, dass Michel Friedmann als Reaktion auf die gemeinsame Abstimmung von Unionsparteien und AfD sein Parteibuch zurückgab. Watzke: „Wenn es eine Partei gibt die immer an der Seite der jüdischen Menschen stand, dann die CDU.“ Watzke scheint über die Geschichte seiner Partei ähnlich viel zu wissen wie über die Reform des Kinderfußballs. Doch hierzu später.

Was will uns Aki Watzke sagen? Dass der Jude Friedman ziemlich undankbar ist? Und was ist mit den Holocaust-Überlebenden, die Merz‘ parlamentarischen Schulterschluss mit den Rechtsradikalen ebenfalls kritisierten? Kein Wort zu ihnen – weder von Watzke noch von Merz. Mit eisiger Empathielosigkeit werden jüdische Proteste pariert oder ignoriert. Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern? Nur so lange, wie diese uns nicht widersprechen oder instrumentalisierbar sind.

Nur ganz kurz: Die CDU und ihr schwieriges Verhältnis zur deutschen Geschichte

 „Wenn es eine Partei gibt die IMMER an der Seite der jüdischen Menschen stand, dann die CDU.“ Oha…

Die Unionsparteien taten sich anfangs durchaus schwer mit den Shoa- Überlebenden. Beim Wiedergutmachungsabkommen von 1952 („Luxemburger Abkommen“) stimmten im Bundestag zahlreiche ihrer Abgeordnete mit Nein, weshalb Bundeskanzler Konrad Adenauer auf die Stimmen der SPD-Fraktion angewiesen war – diese stimmte komplett mit „Ja“.-

Der französische Außenminister Mendés-France war für Adenauer „ein Spieler ohne feste Konzeption: „Sehen Sie mal: Mendès-France ist doch Jude. Wir haben Erfahrungen mit unseren deutschen Juden. Die haben alle einen nationalen Minderwertigkeitskomplex, den sie überkompensieren durch übersteigerten Nationalismus.“ Und was die Wiedergutmachung betraf, so sei diese nicht nur aus einem „Gefühl der Gerechtigkeit“ erfolgt: „Die Macht der Juden – auch heute noch, insbesondere in Amerika, – sollte man nicht unterschätzen. Und deshalb (sic!) habe ich sehr überlegt und sehr bewusst – und das war von jeher meine Meinung – meine ganze Kraft darangesetzt, so gut es ging, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volk.‘“ Der Blogger Christoph Marx kommentiert: „Hier feiert ein zentraler antisemitischer Topos der braunen Vergangenheit aus dem Mund des Altbundeskanzlers fröhliche Urständ. Ganz ruhig erklärt Adenauer, Deutschland müsse, allein schon aus machtpolitischen Gründen, sich mit den Juden versöhnen. Die Macht der Juden wäre – ‚auch heute noch‘ –  ungebrochen.“

Die in den USA produzierte TV-Mini-Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“, Inhalt war die Verfolgung und Ermordung einer jüdischen Familie, wollte der von der CSU dominierte Bayerische Rundfunk (BR) zunächst nicht ausstrahlen. Die CSU bestand darauf, „Holocaust“ mit einer Serie über die Vertreibung und die deutschen Kriegsopfer zu begleiten, die dann auch tatsächlich unter dem Titel „Flucht und Vertreibung“ gezeigt wurde. Lange Zeit wollten CDU und CSU an die Judenvernichtung nur erinnern, wenn man diese mit der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten gleichstellte.

In Berlin leistete sich die CDU von 1981 bis 1986 mit Heinrich Lummer einen Innensenator, der aus seiner antisemitischen Gesinnung keinen Hehl machte. Lummer wandte sich im neurechten „Ostpreußenblatt“ gegen die Einwanderung russischer Juden nach Deutschland und vertrat die These vom „großen Austausch“. Schon Stalin und die US-Regierung hätten die Auslöschung des deutschen Volkes durch erzwungene Einwanderung fremder Völker geplant. Die Bundesregierung und die UN ließen sich durch Israel leiten, das Holocaust-Denkmal würde den Deutschen von der „amerikanischen Ostküste“ aufgezwungen. Israel verweigerte ihm die Einreise.

Auch „Wiedervereinigungskanzler“ Helmut Kohl ist nicht ohne Flecken. Als junger CDU-Politiker spendete Kohl jährlich 200 Mark an das Hilfswerk Hausser bzw. die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS (HIAG). Das Hilfswerk kümmerte sich um inhaftierte NS-Verbrecher und deren Angehörige. Der Verfassungsschutz hielt die HIAG für nationalsozialistisch beeinflusst und observierte sie. Paul Hausser war Ex-Generaloberst der Waffen-SS. Ihm unterstehende Einheiten hatten Kriegsverbrechen an der sowjetischen und italienischen Zivilbevölkerung begangen, aber für Kohl war Hausser ein „anständiger Mann“.

1982 wurde Kohl Bundeskanzler, im Januar 1984 besuchte er zum ersten Mal Israel. Kohl sprach von Verbrechen, die „im Namen der Deutschen“ begangen wurden – also nicht von den Deutschen, nur in deren Namen. Sein Regierungssprecher Peter Boenisch mahnte die Israelis, Auschwitz nicht für die praktische Politik zu instrumentalisieren. Und mit Kurt Ziesel gehörte ein Journalist zur deutschen Delegation, der für den „Völkischen Beobachter“ geschrieben hatte und sich über den 8. Mai 1945 die nationalsozialistische Diktion pflegte.

Ein Jahr später besuchte Kohl gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg mit seinen Waffen-SS-Gräbern – trotz lautstarker Proteste jüdischer Organisationen.

2003 hielt der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann zum Tag der Deutschen Einheit eine Rede, in der er behauptete, man könne die Juden unter gewissen Voraussetzungen als „Tätervolk“ bezeichnete. Denn Juden seien verantwortlich für die bolschewistische Revolution und die hier begangenen Verbrechen gewesen. Hohmann zitierte dabei aus Henry Fords antisemitischer Hetzschrift „Der internationale Jude“. Am Ende sprach Hohmann Juden wie Deutsche vom Vorwurf des „Tätervolks“ frei und relativierte und verharmloste damit die nationalsozialistischen Verbrechen. Hohmanns Zuhörer, in ihrer Mehrheit Mitglieder des CDU-Ortsverbands Neuhof, fanden nichts Anstößiges in der Rede.

Zur politischen Affäre wurde die Rede erst nach ihrer Veröffentlichung auf der Homepage des Ortsverbands. Die Journalistin Andrea Livnat schrieb im Online-Magazin hagalil.com: „Martin Hohmann sagt in seiner Rede nichts Verbotenes, er hetzt nicht mit verfassungsfeindlichen Parolen. Seine Argumentation ist wesentlich raffinierter und perfider. Bestreitet er letztendlich, dass die ‚Juden‘ als Kollektiv ein ‚Tätervolk‘ seien, so zählt er doch zuvor genau dafür ‚Beweise‘ auf. Durch die Gegenüberstellung von Nationalsozialismus und Bolschewismus bzw. von Deutschen und Juden als ‚Tätervolk‘ wird der Holocaust verharmlost, die ‚Schuld‘ des nationalsozialistischen Deutschland relativiert und schließlich antisemitische Argumentationen der übelsten Sorte aufgewärmt und neu serviert. Juden sind wahlweise die Drahtzieher von Bolschewismus, Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, je nachdem, wie es der Sprecher eben braucht.“

Auf Antrag der CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel wurde Hohmann schließlich aus der Bundestagsfraktion der CDU ausgeschlossen,. Mit 78 % stimmten zwar mehr Abgeordnete für den Antrag als die erforderlichen zwei Drittel, jedoch weniger als erwartet. Mehrere prominente Unions-Politiker, unter ihnen natürlich Heinrich Lummer, nahmen Hohmann in Schutz.

So richtig besser wurde es erst während der Kanzlerschaft von Angela Merkel, die aber, so Watzke und Merz unisono, die CDU „entkernt“ habe. In einigen Fragen war dies wohl überfällig gewesen. Wenn Merkel Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson erklärte, ging es ihr stets um mehr.

Man sollte sich nicht wundern, wenn beim anstehenden Roll Back auch die Erinnerungspolitik geopfert wird. Das Wahlprogramm der CDU liefert schon mal einen Vorgeschmack darauf.

Für Jens Christian Wagner, Historiker und Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora für die ehemaligen KZ Buchenwald und KZ Mittelbau-Dora, ist nicht nur die „Erinnerungspolitik“ der AfD ein Problem – Stichwort „Vogelschiss“. Fast noch erschreckender sind für den Historiker die erinnerungspolitischen Passagen im Wahlprogramm von CDU und CSU. Wagner: „Da werden die NS-Verbrechen nicht einmal explizit erwähnt. Es ist nur undifferenziert von den ‚beiden totalitären Regimen in Deutschland‘ die Rede. Diese terminologische Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit der SED-Diktatur fällt hinter alles zurück, was wir seit den 1990er-Jahren diskutieren. Das Erinnern an Auschwitz kommt im Wahlprogramm der CDU nicht vor, dafür gibt es ausführliche Ausführungen zu Flucht und Vertreibung von Deutschen nach 1945. Das ist ein geschichtspolitisches Rollback in die 1950er-Jahre und liest sich, als seien in den Augen der CDU die Deutschen die Hauptopfer des Zweiten Weltkriegs. Offenbar reichen solche geschichtspolitischen Vorstellungen, wie wir sie von der autoritären Rechten kennen, inzwischen bis in die CDU.“

Dietrich Schulze-Marmeling, 1956, Kamen. freier Publizist. Er hat zu friedenspolitischen Themen und zum Nordirland Konflikt geschrieben. Ist einer der bedeutendsten und produktivsten Autoren des Sportjournalismus zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs. Besonders verdienstvoll sind seine Bemühungen um die Rekonstruktion der jüdischen Fußball Geschichte, die nahezu vollständig verdrängt war.

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