Braucht Deutschland „die Bombe“?

Karl-Wilhelm Koch, Klaus Moegling, Bernhard Trautvetter

Trump, Ausstieg der USA aus dem Schutzschirm für die Nato und die nachfolgenden Einwürfe von (bislang) Fischer (Grüne), Lindner (FDP) und Barley (SPD):

Lautstark wird die „europäische (Atom)Bombe“ gefordert, als unabdingbar, unbedingt nötig gegen Russland, dem alten, neuen Erzfeind seit 2022, dem man (wieder) alles zutrauen muss. Und dann stellt sich zu allem der möglicherweise zurückkehrende US-Präsident hin und wirft alle europäischen Nato-Staaten, die nicht bereit sind, die vereinbarten 2 % des BSP fürs Militär zu zahlen (und am besten dafür US-exportierte Waffen zu kaufen), Russland zum Fraß vor. Dafür muss man gerüstet (im Sinn des Wortes!) sein!? Vermeintlich konsequent zu Ende gedacht: Was bliebe also an Alternative zu einer europäischen Atommacht?

Grundsätzlich zu klärende Fragen

Aber versuchen wir es einmal mit sachlichem, selbstständigen Weiter-Denken und Beantworten von ein paar einfachen Fragen:

Würden die aktuell vorhandenen französischen und britischen Atomwaffen eine gleichwertige militärische Bedeutung erzielen wie der von der Nato so genannte US-amerikanischen „Atomwaffenschutzschirm“?

Für das, was angedacht ist – eindeutig nein! Für einen atomaren Schutzschild, der „wirken“ soll (dazu gleich mehr) wären mehr als ein paar Hundert Atomwaffen nötig. Der funktioniert  nur, wenn der Gegner damit rechnen muss – bei allen mittlerweile vorhandenen Abwehrfähigkeiten (Raketenschutzschild, Ausschalten der gegnerischen Trägersysteme) – dennoch vernichtend zerstört zu werden. Ist das nicht glaubhaft, funktioniert die „Abschreckung“ nicht mehr.

Aber es wird schon mit dieser Frage immer klarer: Wenn es zu einem Atomkrieg mit Russland kommt, dann wird er in Europa stattfinden.

Wer baut die neuen Bomben?

Erforderlich wäre also zunächst eine massive Aufrüstung der Waffenbestände. Technisch ist das machbar, jeder Staat mit ziviler Atom-Infrastruktur (Wiederaufbereitung, Anreicherung, Trennung Uran/Plutonium) kann das. Staaten wie Deutschland oder Japan könnten in max. sechs Monaten die eigene Bombe haben, wenn sie es darauf anlegen.

Wer übernimmt die Kosten?

Fast alle offiziellen Atomwaffenstaaten (USA, Frankreich, Großbritannien, Indien, vermutlich auch China) finanzieren ihre Atomwaffen über die zivile Nutzung der Atomenergie. Macron hat dies als erster demokratischer Präsident öffentlich zugegeben. Nur durch die Dual-Use-Methode für Waffenbau und Wiederaufarbeitung für Atomkraftwerke kann eine Atombewaffnung einigermaßen „preiswert“ finanziert werden, es sei denn eine Diktatur (z.B. Nordkorea) setzt entsprechend  andere Prioritäten. „Sinnvoll“ im Sinn einer Atommacht EU wäre ein weitreichender Wiedereinstieg in die zivile Nutzung der Atomenergie durch die beteiligten Staaten zur Querfinanzierung.

Auf jeden Fall würde der Aufbau einer EU-Atommacht bei den beteiligten Staaten Investitionen in mindestens zweistelliger Milliardenhöhe auslösen. Bereits jetzt werden Rüstungsaushaushalte auf Kosten der Sozialausgaben, des Klimaschutzes und aller anderen wichtigen Politikfelder immer weiter erhöht. Aktuell fordert Annalena Baerbock als grüne Außenministerin bereits jetzt ein weiteres Sondervermögen für die Aufrüstung.

Wer hat die Kontrolle über die Bomben?

Diese läge vermutlich weiterhin bei der französischen oder britischen Regierung, es sei denn, die Bundesregierung entschiede sich zur eigenen Bombe. Das heißt, die anderen EU-Atomwaffen-Staaten hätten nicht mitzureden, sondern nur mit zu bezahlen. Wie sollte das auch gehen? Gerade im Zeitalter von Hyperschallraketen als Atomwaffenträger bleiben nur wenige Minuten bis zur Entscheidung, ob ein Angriff vorliegt und ein Gegenschlag erforderlich wäre. In diesen 3 – 4 Minuten machen wir mal schnell eine Videoschalte zwischen den Entscheidern? Scholz ist gerade joggen, Tusk hat Magenprobleme … Einzig Absprachen nach der Methode „wenn … dann“ wären machbar, ob das aber hier funktioniert? Bevor diese Frage nicht so geklärt ist, ist eine Entscheidung pro EU-Atommacht nicht umzusetzen.

Dazu kommen die neuen Gefahren der KI, die in naher Zukunft bei militärischen Entscheidung schon allein aufgrund der immer weiter verkürzten Entscheidungszeiträumen unumgehbar sein wird und damit – noch mehr als bisher – die Gefahr eines Atomkrieges aus Versehen erhöht.

Wenn schon Trump ein Problem ist, was wäre mit Le Pen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass Le Pen die nächste Präsidentenwahl gewinnt, wird ähnlich hoch eingeschätzt wie bei Trump. Das Ergebnis wäre vermutlich dasselbe: „La France en premier“. Die europäischen Nato-Staaten kämen vom Regen in die Traufe. Bei einem Boris Johnsen o.ä. in Großbritannien sähe es genauso aus. Eine dauerhafte Schutzgarantie ist also auch hier nicht sicher.

Wäre rechtlich eine Teilnahme Deutschlands an der EU-Atombewaffnung möglich?

Das wäre das kleinste Problem: Deutschland hat zwar den völkerrechtlich bindenden NVV (Vertrag zu Nichtverbreitung von Atomwaffen) unterschrieben (verstößt allerdings mit der sog. „nuklearen Teilhabe) massiv dagegen), dieser kann aber von jedem Unterzeichnerstaat jederzeit gekündigt werden. Nordkorea hat dies z.B. formal korrekt gemacht.

Werden die Folgen bedacht?

Und spätestens jetzt sollten wir einmal die entscheidende Fragen betrachtet: Kann Abschreckung (ob von den USA oder einer europäischen Atommacht geführt) überhaupt funktionieren?

Welche Folgen hätte ein erster Schlagabtausch?

Ein Schlagabtausch mit je 50 Atomwaffen mittlerer Größe wurde auf der Nordhalbkugel zu einem nuklearen Winter von mehreren Jahren führen. Strahlenschäden würden weiter Regionen unbewohnbar machen, Trinkwasser wäre vielerorts auf Jahre nicht verfügbar. Ein unvorstellbare Hungerskatastrophe würde Millionen von Menschenleben fordern, Verteilungskriege und die militärische Bekämpfung von Flüchtlingsströmen würden die ganze Erde erschüttern, auch auf der Südhalbkugel. Dort würden Klimaänderungen und Strahlung natürlich ebenfalls zu immensen Schäden führen. Weitere kriegerische, auch atomar geführte Auseinandersetzungen wären vermutlich die Folge.

Und welche Folgen hätte ein zweistufiger Atomkrieg?

Ein großer Atomkrieg würde unsere Zivilisation vermutlich völlig vernichten. Wer überlebt, findet sich schlagartig in einer völlig veränderten Welt wieder: Verstrahlte Luft, verstrahltes Wasser, auf Jahre keine Sonneneinstrahlung durch die in die Atmosphäre verdampfte und geschleuderten Materialmengen, in der Folge ein Zusammenbruch aller Infrastrukturen, ebenso der Nahrungsmittelversorgung, Verteilungskämpfe bis auf die unterste Ebene, hohe Zahlen an Todesopfer in den ersten Monaten, dazu ein Vielfaches an Verletzten und Erkrankte. Schätzungen gehen in diesem Fall von mehreren Milliarden Opfern aus.

Ziehen die Entscheidungsträger das wirklich durch?

Die Abschreckung zu Ende gedacht bedeutet das: Auf einen russischen Angriff von mehreren Dutzend Atomraketen, vermutlich zunächst auf militärische (in Deutschland: Büchel, Spangdahlem, Ramstein) und politische Ziele (Regierungsviertel in Berlin) würde unsere Seite mit mehreren Hundert Raketen zurückschlagen. Vermutlich würde dadurch eine 2. Angriffswelle der Gegenseite ausgelöst, mit vermutlich einem 2. Gegenschlag. Dabei wären jetzt hauptsächlich die Zweitschlagkapazitäten (Bomberflotte, U-Boote) aktiv, die Raketenstellungen wären beim 1. Angriff weitgehend vernichtet worden.

Was wäre jedoch, wenn ein Land, z.B. das Baltikum, Finnland oder Deutschland gezielt angegriffen wird? Schlägt die EU, schlagen die USA dann entsprechend zurück und riskiert ihre Gesamtvernichtung? (Die Frage stellt sich auch heute schon bzgl. eines Zweitschlags  …)

Wem fühlen sich die Entscheidungsträger mehr verpflichtet – der Nato (oder EU-) Verpflichtung oder ihrem eigenen Volk (oder ihrer eigenen Familie)? Vielleicht sollte man alle verpflichten, den (zumindest im 1. Teil bis Min. 65) extrem realistischen Film „The day after“ aus dem Jahr 1983 anzusehen. Aber Achtung, nichts für schwache Nerven: „Teile des Filme werden weite Teile der Bevölkerung verunsichern“.

Bevor eine Diskussion in Deutschland über eine atomare Bewaffnung (ob nur für Deutschland oder für die EU mit Deutschland) begonnen wird, sollten alle diese Fragen intensiv diskutiert und beantwortet werden. Bezeichnend ist, dass die aktuell tonangebenden Politiker dies gerade auszuschließen versuchen: Das Thema ‚Atomar‘ gehört nicht in der Öffentlichkeit diskutiert“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann im Bundestag am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Die Beantwortung dieser Fragestellungen kann aus unserer Sicht nur zu einer Intensivierung der internationalen Bemühungen zur Unterzeichnung des Atomverbotsvertrag und zur nuklearen Abrüstung führen – wenn die verantwortlichen Politiker noch in der Lage und willens sind, logisch, vorausschauend und verantwortlich zu denken und zu entscheiden.

Bereits jetzt gibt es mehr als 12.500 Atomwaffen weltweit, was für einen mehrhundertfachen atomaren Overkill auf diesem Planeten reicht. Wir brauchen keine weiteren Atomsupermächte. Im Gegenteil: Abrüstung ist das Gebot der Stunde!

Weitere Links zum Thema:

Teil 1

Karl Hans Bläsius, Klaus Moegling

KI und Krieg: Entgleitet uns Menschen die Kontrolle?

Viele KI-Tools führen zur Verbesserung der Lebensqualität. Bei militärischen Anwendungen lauern aber große Gefahren. Eine Warnung.

https://www.telepolis.de/features/KI-und-Krieg-Entgleitet-uns-Menschen-die-Kontrolle-9638085.html, 25.2.2024

Teil 2

Klaus Moegling, Karl Hans Bläsius

KI und nukleare Risiken

Mitwirken der KI bei nuklearen Waffensystemen bedrohlich. Politische Forderungen müssen zu mehr Kontrolle führen.

https://www.telepolis.de/features/KI-und-Krieg-Nukleare-Risiken-und-politische-Forderungen-9638955.html,  26.2.2024

Die Autoren:

Karl-W. Koch, Dipl.-Ing. (FH. chem.) Gymnasiallehrer in den Fächern Chemie, Mathematik und Umwelttechnologie sowie Fachbuchautor (“Störfall Atomkraft”). Er ist Gründer des AK Atom bei B90/Die Grünen.

Klaus Moegling, Prof. Dr. i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, Autor u. a. von „Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich“

Bernhard Trautvetter, Studiendirektor a.D., Friedens- und Umweltaktivist, Publizist, Essener Friedensforum, Bundesausschuss Friedensratschlag.

auch veröffentlicht bei Heise.de:
https://www.telepolis.de/features/Braucht-Europa-die-Bombe-9635886.html

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