Appell „Gegen die Atomare Bedrohung“

Ergänzung Angriff auf Dnipr, 16.12.24

Unser Appell[1] „Gegen die Atomare Bedrohung“ hat die 14.000 Unterschriften geknackt. Leider ist die Situation noch viel schlimmer geworden, als sie vor einem Jahr war, als wir den Appell gestartet haben. Auf die Eskalationen Russlands und Putins gegen die ukrainische Zivilbevölkerung wird von den USA, GB und Frankreich mittlerweile mit einer Gegeneskalation mittels weitreichender Raketen und Marschflugkörper geantwortet.

Winter als Waffe

Auch wenn davon auszugehen ist, dass von den westlichen Waffen jeweils nur militärische Ziele angegriffen werden – und das auch durchaus mit der Berechtigung, dass damit die völkerrechtswidrigen Angriffe Russlands erschwert werden – wird übersehen oder falsch eingeschätzt, dass das weitere Eskalationspotential Putins faktisch unbegrenzt ist. Er kann auch die restliche Strom-, Wasser- und Heizungsinfrastruktur zerstören. Das würde im Winter mit Sicherheit eine weitere Fluchtwelle Richtung Westen auslösen, die für die betroffenen Länder kaum zu bewältigen wäre. Auch in Deutschland würden Hunderttausende weitere Flüchtlinge sowohl die Infrastruktur (verfügbare Wohnungen) wie auch die Kassen der Gemeinden hoffnungslos überfordern. Und das in der schwersten Regierungskrise unseres Landes seit Jahrzehnten.

Eskalationsstufe 2: Angriff auf Atomlager

Aber es kann noch viel schlimmer kommen: Ein Raketen-/Marschflugkörper-/Drohnenangriff auf eines der Zwischenlager der weitgehend stillgelegten Atomkraftwerke oder gar auf den großen Atommüll-Lagerkomplex in Tschernobyl (außerhalb des Sarkophags gelegen). Das vermutlich größte weitgehend offene Atommülllager Europas würde – je nach Menge der Sprengsätze – Hunderte oder mehrere Tausend Quadratkilometer[2] auf Jahrzehnte unbewohnbar machen, es wäre der Effekt einer sog. „Schmutzigen Bombe“. Erzielt werden kann diese Wirkung auch mittels eines initiierten „Unfalls“, der zunächst nicht klar erkennbar als Anschlag zu werten ist oder angeblichem „friendly fire“ in Saporischja.

Eskalationsstufe 3: Angriff auf Atomkraftwerk

Und die nächste Stufe der „nach oben offenen“ Eskalationsskala könnte der Angriff auf einen der Atomreaktoren sein oder auch nur auf dessen dauerhafte Kühlung. Selbst wenn diese zuvor abgeschaltet worden sind, droht dann dennoch durch die Nachwärme eine Kernschmelze wie in Fukushima mit den entsprechenden Folgen.

Meldung der GRS, Stand 29.11.2024: „Wie die IAEA in ihrem aktuellen Update berichtet, mussten die drei in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke [korrekter: Kraftwerksblöcke] in der Ukraine am 28.11.24 aufgrund der russischen Angriffe auf das ukrainische Energiesystem ihre Leistung drosseln. [Saporischja ist bereits seit längerem komplett vom Netz.] Ein Reaktor im KKW Riwne wurde demnach vom Netz getrennt. Alle Blöcke seien weiterhin mit externem Strom versorgt worden, obwohl der Standort Chmelnyzkyj den Anschluss an zwei seiner Stromleitungen verlor. Direkte Schäden an den Anlagen gebe es keine, aber die IAEA wurde von der Ukraine darüber informiert, dass bei den Angriffen auch wieder elektrische Umspannwerke betroffen gewesen seien, die die Kraftwerke sowohl für die Einspeisung von Strom ins Landesnetz als auch für die eigene Stromversorgung nutzen. Die Leistungsreduktion der KKW Riwne, Süd-Ukraine und Chmelnyzkyj ist laut Angaben der IAEA die zweite dieser Art innerhalb der letzten zwei Wochen.

Bereits vor zwei Jahren wurde zu beiden Szenarien ein Artikel erstellt, der jetzt aktualisiert beiliegt: https://gruenealternative.de/wp-content/uploads/2024/12/der-kleine-Atomkrieg_02.pdf

Eskalationsstufe 4: Einsatz einzelner Atomwaffen

Dieser Einsatz einzelner Atomwaffen droht, wenn sich Russland bei Angriffen elementar bedroht sieht. Bei einem konzertierten Angriff mit weitreichenden Waffen auf Militärstrukturen tief in Russland (und eventuell auf die Raketenfrühwarnsysteme, wie bereits im Juni 2024 einmal geschehen) könnte das von der russischen Führung genauso interpretiert werden. Die gemäßigtste Reaktion wäre ein sog. „Show of Force“ mittels der Zündung einer einzelnen Atombombe über der Ostsee oder dem Schwarzen Meer. Aber auch der Einsatz von taktischen Atomwaffen (hört sich harmlos ist, diese sind allerdings heute oft deutlich größer als die Hiroshimabombe, allerdings in der Stärke einstellbar) auf Truppenkonzentrationen oder ein nuklearer Angriff auf den Regierungssitz in Kiew ist nicht auszuschließen. Die erstmals in Dnipro erstmalig eingesetzte Mittelstreckenrakete des Typs „Oreschnik“ (vermutlich Hyperschall) ist hierfür geeignet, sie ist nuklear bestückbar.  

Ergänzung 16.12.24: Zum Einsatz der Oreschnik in Dnipro in der Nacht vom 21. zum 22. November 2024 war vermutlich der erste „Show of Force“: Sie war auf das gegen das riesige Juschmasch-Werk in Dnipro gerichtet, ein Erbe der sowjetischen Raumfahrt- und Raketentechnologie. Seit Jahrzehnten war das Werk das Herzstück der ukrainischen Rüstungsindustrie. Einst wurden hier jährlich bis zu 100 Interkontinentalraketen hergestellt. Aktuell repräsentierte Juschmasch das Zentrum der ukrainischen Raketenforschung und -produktion. Das Werk soll so konzipiert sein, dass es selbst bei einem direkten Atomschlag teilweise funktionsfähig bliebe, mit unterirdischen Produktionsanlagen und mehrfach abgesicherten Energiesystemen. Die »Oreschnik«-Rakete setzte sechs Hauptgefechtsköpfe frei, von denen jeder theoretisch weitere sechs Submunitionseinheiten freisetzen konnte. Sicher ist auch die Einschlaggeschwindigkeit von etwa Mach (Schallgeschwindigkeit) 11,4.

Als gesichert kann weiter gelten, dass der Einsatz der »Oreschnik« den ersten Einsatz von rein kinetischen Gefechtsköpfen mit Hyperschallgeschwindigkeit überhaupt markiert. Mit Sprengstoff versehene Sprengköpfe sind gegen tiefliegende Ziele wie etwa die unterirdischen Produktionshallen von Juschmasch weniger wirkungsvoll als rein kinetische Gefechtsköpfe. Bei einer Aufprallgeschwindigkeit von Mach 11,4 würde das Wolframgeschoss etwa ein TNT-Äquivalent von um die 170 Kilogramm aufweisen. Anders als Sprengköpfe würde ein Wolframgefechtskopf unterirdische Schockwellen produzieren, die verbunkerte Strukturen wirksam bekämpfen.

Beim Einschlagwurde als ein erdbebenartiges Ereignis beschrieben. Videoaufnahmen zeigen Einschläge, die sich in einem nahezu perfekten 90-Grad-Winkel trafen, ein Indiz für eine möglicherweise gezielte Attacke auf unterirdische Infrastrukturen – und ein mögliches Indiz für eine hohe Zielgenauigkeit. Das Abfangen der Rakete ist aufgrund ihrer Manövrierfähigkeit und ihrer Hyperschallgeschwindigkeit praktisch unmöglich.

Die »Oreschnik« kann somit Aufgaben übernehmen, die bisher theoretisch nur von taktischen Nuklearwaffen erfüllt werden konnten. Die Fähigkeit, Entscheidungszentren und Flächenziele mit offensichtlich beispielloser Genauigkeit zu neutralisieren, könnte die bisherige NATO-Doktrin, die auf Erlangung einer absoluten Luftüberlegenheit basiert und dafür funktionsfähige Flugplätze erfordert, obsolet machen.

(Quelle – gekürzt: https://www.jungewelt.de/artikel/489939.konflikt-mit-russland-kopfnuss-f%C3%BCr-nato.html)

Auch die Ukraine selbst droht mit nuklearer Wiederbewaffnung. Fachleute gehen davon aus, dass dies mit dem vor Ort vorhandenen Plutonium aus alten Brennstäben in wenigen Monaten machbar wäre. Auch von dieser Seite wäre ein Ersteinsatz nicht auszuschließen.

Die möglichen Szenarien sind hier zusammengestellt: https://gruenealternative.de/wp-content/uploads/2024/12/Die-Gefahr-einer-nuklearen-Eskalation_02.pdf

Möglich wäre auch ein Einsatz von Atomwaffen seitens Belarus. Die Regierung von Belarus verfügt – wie unsere Mitkämpferin und Freundin aus Belarus, Olga Karach („unser Haus“), ausführt mittlerweile über „eigene“ (?) russische Atomwaffen. Die Einsatzbedingungen ähneln vermutlich der sog. Nuklearen Teilhabe in Deutschland: Der Einsatz erfolgt durch Belarus, aber im Auftrag oder zumindest mit Zustimmung der russischen Regierung. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass der große US-Gegenschlag dann ausbliebe oder Belarus treffen könnte. Näheres zu den Hintergründen: https://gruenealternative.de/wp-content/uploads/2024/12/de_Nuclear-weapons_Belarus_3.pdf

Aus diesen Szenario heraus kann sich jederzeit binnen Minuten unkontrolliert durch echte Bedrohung, vermeintliche Bedrohung, Fehlinterpretationen, menschliches Versagen, falsche Reaktion einer der beiden Seiten ein großer Atomkrieg entwickeln, der nicht mehr zu stoppen sein wird.

Weitere Infos:

Zu Tschernobyl: https://www.base.bund.de/DE/themen/kt/laenderinfo/ukraine-akw.html


[1] Der KI-Experte Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Moegling, der Vorsitzende des GrüneAlternative e.V. Karl-Wilhelm Koch und der Friedensökologe Bernhard Trautvetter, Sprecher des Essener Friedensforums und Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag

[2] Das entspräche z.B. einem Radius zwischen 10 km (= 100 km2) und ca. 65 km (= 4.000 km2) um den Standort.

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