OI, 16.04.2024
Vorbemerkung: der Beitrag dient – ohne Wertung pro oder contra für die eine oder andere Seite lediglich zur Info über die Ereignisse.
Unter der Überschrift „Wir klagen an!“ riefen die Gruppierungen Vereinigtes Pakästinensisches Nationalkomitee, die Jüdische Stimme, Arbeiter:innenmacht, Revolutionäre Linke, Diem 25, BDS Berlin und Palestinians and Allies für den 12.4.24 nach Berlin. Im Fokus des Kongresses sollte die „genozidale“ Kriegführung Israels stehen, wie im Aufruf zum Kongress zu lesen steht. Der Bundesregierung wurde „Beihilfe zum Völkermord“ vorgeworfen. In dem Aufruf (auf der Startseite) hieß es ferner: „Wer mit der Tötung von israelischen Zivilist:innen am 07. Oktober die Zerstörung und Ermordung der gesamten palästinensischen Zivilisation in Gaza rechtfertigt, begräbt auch jeden Anspruch auf Menschlichkeit und Demokratie. Die deutsche Regierung versucht diesen Genozid mit dem Recht auf Selbstverteidigung zu rechtfertigen.“
Die Redner:innenliste ist lang. Hierzulande dürften Yanis Varoufakis, ehemaliger griechischer Finanzminister und Kandidat zur Europawahl in Deutschland 2019, Gründungsmitglied von Diem 25 und deren Wahlflügel Mera 25 (kandidiert zur Europawahl 2024), sowie Irene Montero, ehemalige Gleichstellungsministerin der spanischen Regierung über die Aktivist:innenszene hinaus bekannt sein. Dieser Kongress wurde mittels Polizeieinsatz grob unterbunden.
Der Berliner Senat konnte sich nicht entschließen, den Kongress von vornherein zu verbieten. Massive Kritik hatte es im Vorfeld gegeben. Die Liste der Veranstalterorganisationen las sich nach Meinung der Kritik wie ein „Who is Who“ von „Israelhassern“. Wie die taz berichtet, wurden dann jedoch unmittelbar nach Beginn des Kongresses seitens der Behörden alle Register gezogen, die Veranstaltung zu verhindern. „Es gibt viele Möglichkeiten, eine Veranstaltung zu verhindern. Man kann versuchen, sie zu verbieten. Man kann die Organisatoren unter Druck setzen und ihnen das Konto sperren lassen. Man kann das Bauamt, das Gewerbeamt und die Feuerwehr beauftragen, Gründe zu finden, warum die Veranstaltung nicht stattfinden kann. Man kann im Vorfeld massive Auflagen verfügen, um sie zu erschweren. Man kann Teilnehmer an der Anreise hindern oder daran, in den Veranstaltungssaal kommen. Und man kann einen Anlass suchen, um die Veranstaltung vorzeitig aufzulösen. All das haben der Senat und die Polizei in Berlin getan, um einen umstrittenen „Palästina-Kongress“ zu unterbinden.„
Die Polizei gibt als Grund für die Auflösung der Veranstaltung den geplanten Auftritt des Forschers und Autor Salman Abu Sitta per Video an. Der habe ein politisches Betätigungsverbot in Deutschland. An der Einreise war Sitta bereits gehindert worden. rbb berichtet: „Der inzwischen 86 Jahre alte Abu Sitta soll nach Medienberichten Anfang des Jahres in einem Blog geschrieben haben, dass er an dem Überfall der Hamas teilgenommen hätte, wenn er jünger gewesen wäre.“ Überhaupt, an der Sache mit der Unteilbarkeit der Menschenrechte und also der Distanz zu HAMAS, die von den Veranstalter:innen reklamiert wird, scheint es gelinde gesagt, zu hapern. Die Süddeutsche berichtet etwa von der Pressekonferenz der Veranstalter nach der polizeilichen Auflösung:
„Mitgefühl für die israelischen Opfer des Terrorakts vom 7. Oktober äußern die Kongressredner nicht. Bei einer Pressekonferenz weigern sich Wieland Hoban, Vorstand der propalästinensischen Organisation „Jüdische Stimme“, und Karin De Rigo von der linksradikalen Splittergruppe „Diem 25“, als Sprecher der Kongress-Veranstalter die Frage zu beantworten, ob sie sich von den Morden der Hamas distanzieren. Stattdessen verweisen sie auf das „Widerstandsrecht“ gegen eine „Besatzungsarmee“. Wie eine Floskel zur Absicherung schieben sie mit bürokratischer Kälte hinterher: „Wir befürworten nicht das Töten von Zivilisten.“ Zwischen „nicht befürworten“ und „verurteilen“ liegen Welten, aber die Formulierung ist kein Versehen und kein Zufall, sondern genau so gemeint: Terrorakte werden hier nicht verurteilt.“
Und ja. Die unterdessen veröffentlichte, vor Ort nicht gehaltene, Rede von Yanis Varoufakis liegt da ganz auf dieser Linie, siehe Minute 2:22, 5,32 und ab Minute 7:42 – dann die Relativierung des HAMAS Verbrechens … Natürlich darf am Ende die These nicht fehlen, „die Juden“ seien am Antisemitismus „selbst schuld“ und „Gaza“ sei eben „Wasser auf die Mühlen des Antisemitismus“.
Nun wurde auch Yanis Varoufakis mit einem Verbot der Einreise nach Deutschland belegt.
Ob all diese Maßnahmen und das gesamte Vorgehen gegen einen solchen Kongress insgesamt noch einer Verhältnismäßigkeit entsprechen, um einen Kongress zu verhindern, wenngleich dort geäußerte Standpunkte in Teilen unter das Stichwort „linker Antisemitismus“ subsumiert werden können, ist doch in Frage zu stellen. Jedenfalls setzt das Maßstäbe für den künftigen Umgang der Innenministerien mit antisemitischen Naziversammlungen, die bisher bekanntlich meist erst auf Intervention kritischer Journalisten bekannt werden, nachdem sie stattgefunden haben.