Taurus, die Zweite: Flugkörper Marsch?

Gastbeitrag (Auszug) Detlef zum Winkel, 9.4.2024, erstmals unter bruchstuecke.de (vollständig).

Die Kritik an seiner Weigerung, der Ukraine Taurus Marschflugkörper zu liefern, konnte Bundeskanzler Scholz eigentlich nur einmal und für einen kurzen Moment zum Schweigen bringen. Das war vor der Abstimmung über die Lieferung dieses Kriegsgerätes am 14.3.24 (der Antrag der CDU und unterstützt von einigen wenigen Abweichlern aus den Reihen der Ampel, wurde mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit abgelehnt). “In der Debatte kam es zu einem kurzen Schlagabtausch, als MdB Norbert Röttgen (CDU) den Bundeskanzler fragte, ob Frankreich und Großbritannien durch ihre Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine Kriegsbeteiligte geworden seien. Scholz verneinte, niemand werde durch Waffenlieferungen Kriegsbeteiligter. Dann fügte er hinzu, Röttgen wisse über die Problematik einer deutschen Tauruslieferung gut Bescheid, baue aber seine Kommunikation zu dem Thema darauf auf, dass die Öffentlichkeit nicht über dieses Wissen verfüge. Damit brachte er zum Ausdruck, dass es beim Taurus einen Sachverhalt gebe, der dem Parlament, nicht aber der Öffentlichkeit bekannt sei.” Das Ziel für den Einsatz dieser und anderer Sprengsätze ist bekannt. Die Ukraine möchte damit die Kertschbrücke möglichst schnell und nachhaltig zerstören.

Unter der Überschrift “Wer die Freiheit liebt, muss die Brücke zerstören“, zieht diese These in Zweifel: “Die Kontroverse um eine Taurus-Lieferung müsste sich eigentlich auf den Punkt zubewegen, ob man eine Zerstörung der Krimbrücke durch die Ukraine wünscht, billigt oder ablehnt. In diesem Fall kann man sich schwer hinter dem Argument verstecken, die Entscheidung müsse der Ukraine überlassen werden. Denn Kiew hat seine Absichten bereits erklärt. Daraus folgt, dass die Herren Merz, Söder, Röttgen, Hofreiter, Kubicki, Roth und die Damen Strack-Zimmermann, Baerbock, Brugger, um nur einige Politiker:innen beim Namen zu nennen, sowie eine Legion von Publizisten, Experten und Honoratioren mit der Zerstörung der Krimbrücke einverstanden wären. Das gilt auch für die beiden Vizekanzler, die sich nicht so weit aus dem Fenster gelehnt haben wie ihre jeweiligen Parteien, aber nur aus taktischen Gründen.

Wer die Freiheit liebt, muss die Brücke zerstören? Das erinnert stark an die Sprengung der Nordstream-Pipelines. Anders ausgedrückt, erhärtet die aktuelle Kontroverse den Verdacht einer ukrainischen Urheberschaft bei jenem Sabotageakt, der, wie immer man es dreht und wendet, aus deutscher Sicht kein freundlicher Akt gewesen ist. In diesen Zusammenhang gehören auch die regelmäßig stattfindenden Gefechte in der unmittelbaren Umgebung des AKW Saporischschja. Nach wie vor ist unklar, wer dafür verantwortlich ist. IAEA-Direktor Grossi wies am 4. April zum 218. Mal darauf hin, wie fragil und gefährlich die Lage sei, obwohl das Atomkraftwerk weitgehend heruntergefahren ist. Leider eignet sich der Taurus auch und gerade für solche Ziele.

Um mich nicht dem Vorwurf der Panikmache auszusetzen, überlasse ich es der Phantasie der Leser:innen, sich mögliche russische Gegenangriffe selbst auszumalen. Unter ihnen würde vor allem die ukrainische Zivilbevölkerung leiden, die russische Rücksichtslosigkeit ist ja zur Genüge bekannt. Warum sollten wir das wollen? Eine nachhaltige Beschädigung der Kertsch wird Russland nicht veranlassen, die Krim aufzugeben. Im Gegenteil, sie würde eine russische Trotzreaktion hervorrufen und eine diplomatische Lösung auf einen nicht absehbaren Zeitraum verschieben. Die Taurus-Lieferung würde die letzten Hoffnungen zunichte machen, den Konflikt doch noch einfrieren1 zu können, bevor ein weiterer großer Unsicherheitsfaktor möglicherweise im Weißen Haus Platz nimmt. Sie wäre eine klare Botschaft zur unbefristeten Verlängerung des Krieges.

Das wissen diejenigen, die einen Frieden nur als “Siegfrieden” akzeptieren wollen.

Scholz scheint derzeit ein kleineres Übel zu sein. Freilich, durch seine Verstrickung in die Angelegenheiten der Hamburger Warburg Bank könnte er politisch erpressbar sein.

  1. Thomas Fischer wies in seiner Spiegel-Kolumne vom 22.3., “Was ist falsch am Einfrieren des Kriegs in der Ukraine?”, darauf hin, dass das Einfrieren von Kriegen ei durschaus übliche Weg zu ihrer Beendigung und nicht mit Kapitulation gleichzusetzen sei. ↩︎
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