Detlef Wilske, 2.7.2024
Mit Genugtuung und großer Freude haben wir dieser Tage erfahren, dass der australische Journalist und Whistleblower Julian Assange als freier Mann in sein Heimatland reisen konnte. Jahrelange Kämpfe von Organisationen und Vereinen überall auf der Welt waren nötig, bis auch die US-amerikanische Justiz endlich zu der Einsicht kam, dass der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks Julian Assange nicht mit einer irrwitzig langen Haft zu bestrafen ist.
Assange und Wikileaks
Wikileaks hat zahlreiche brisante illegale und unethische Aktivitäten vieler Regierungen veröffentlicht, hat aufgedeckt, dass und wo die USA Kriegsverbrechen begehen, wo Korruption an der Tagesordnung ist, wie US-amerikanische Geheimdienste in Deutschland Spionage betreiben. Für seine journalistische Arbeit erhielt er auf fast allen Kontinenten 26 Auszeichnungen. In Deutschland wurde er 2020 mit dem Stuttgarter Friedenspreis ausgezeichnet, mit dem ein Zeichen gesetzt werden sollte, „das Recht auf bedingungslose Informations- und Pressefreiheit nicht nur zu schützen, sondern durchzusetzen“, und 2023 mit dem Konrad-Wolf-Preis der Akademie der Künste für seine Arbeit als „im besten Sinne journalistische Aufklärung“.
Verfolgung durch die USA
14 Jahre lang war Assange nicht wirklich sicher vor der US-amerikanischen Justiz. Sieben Jahre, von 2012 bis 2019, verbrachte er in der Londoner Botschaft von Ecuador. Das Land gewährte ihm politisches Asyl und er erhielt auch die ecuadorianische Staatsangehörigkeit, die ihm aber 2019 wieder aberkannt wurde. Das brachte ihm weitere fünf Jahre im britischen Hochsicherheitsgefängnis Her/His Majesty’s Prison Belmarsh. Durch einen Deal, der Wermutstropfen in dieser Sache, musste sich Julian Assange einem US-amerikanischen Gericht in Saipan, der Hauptstadt der Nördlichen Marianen (eine US-Kolonie oder im UN-Sprech ein „Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung“) stellen und sich eines Verstoßes gegen das Spionagegesetz von 1917 schuldig bekennen. Schuldeingeständnis gegen Freiheit. Der Preis dafür, Frau und Vater in seinem Heimatland wieder in die Arme schließen zu dürfen.
Unsere Unterstützung, schweigsame grüne Spitzenpolitiker*innen
Als Unabhängige Grüne Linke standen wir von Anfang an auf Julian Assanges Seite. Bereits 2010 veröffentlichten wir einen Beitrag, in dem wir den Angriff auf die Pressefreiheit und auf die Arbeit von Assange verurteilt haben. Damals taten wir das noch im Einklang mit der Bundespartei. Noch im Wahlkampf 2021 forderte Annalena Baerbock „die ‚sofortige Freilassung‘ von Wikileaks-Gründer Julian Assange“. Als Außenministerin hatte sie später jedoch „keinen Zweifel daran, dass die britische Justiz rechtsstaatliche Prinzipien anwendet und die Menschenrechte achtet“ (beide Zitate in der Frankfurter Rundschau).
BDK-Antrag 2022
Das zeigte sich dann auch in den auf Bundesdelegiertenkonferenzen angenommenen Beschlüssen. Auf der 47. (digitalen) BDK im Januar 2022 stellte Simon Lissner den folgenden Antrag:
„PRESSEFREIHEIT SCHÜTZEN – ASYL UND FREIHEIT FÜR JULIAN ASSANGE!
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert die BUNDESREGIERUNG auf, angesichts der drohenden Abschiebung von Julian Assange in die USA, unverzüglich tätig zu werden, um die Abschiebung zu verhindern, ggf. Asyl in Deutschland zu bieten. Pressefreiheit und die Freiheit der Medien ist unteilbar.”
Im Zuge der Verhandlungen um den Antrag wurde eine kompromisslerische Formel zum beschlossenen Text durchgesetzt:
„Pressefreiheit schützen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen die diese Woche erfolgte Entscheidung des britischen High Court im Fall Julian Assange. Mit dieser Entscheidung wird eine Überprüfung des Auslieferungsersuchens der USA durch den britischen Supreme Court möglich. Sie ist ein Beleg für die Bedeutung von fairen und rechtsstaatlichen Verfahren.
Es braucht international mehr und nicht weniger Schutz für Journalisten und für Plattformen wie Wikileaks. Eine freie Presse ist Grundvoraussetzung für das Funktionieren von Demokratien. Pressefreiheit und die Freiheit der Medien sind unteilbar.
Die gerichtliche Auseinandersetzung geht nun weiter. Großbritannien ist an die Regeln der Europäischen Menschenrechtskonvention gebunden. Rechtsstaatlicher Schutz sowie Grundrechte, wie insbesondere Pressefreiheit, stehen Julian Assange wie allen Journalisten und Hinweisgebern zu. Julian Assange ist schon jetzt von der Haft und der jahrelangen Isolation schwer gezeichnet.
Für uns ist klar: Nur eine Entscheidung, die seine Grundrechte und seinen Gesundheitszustand berücksichtigt, kann eine akzeptable sein.“
Der Antragstext wurde zwar erheblich länger, aber die klare Aussage des ursprünglichen Textes wurde weichgespült. Das Versprechen namens des Bundesvorstandes und des Büros Baerbock, sich für Asyl oder Freilassung Assanges einzusetzen, wurde jedenfalls in den Jahren danach nicht umgesetzt. Mehrere Nachfragen des Antragsstellers wurden stets unkonkret-hinhaltend beantwortet.
BDK-Antrag 2023
Ähnlich erging es uns mit einem Antrag auf der 49. BDK in Karlsruhe. Clara-Sophie Schrader stellte folgenden Antrag:
„Eines besonderen Schutzes bedürfen investigative Journalisten und Whistleblower. Sie enthüllen Kriegsverbrechen und gesellschaftliche Skandale; als Enthüllungsjournalisten sind sie essenzieller Bestandteil der Pressefreiheit, die es dringend zu verteidigen gilt. Julian Assange hat amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt. Wir fordern Deutschland und die EU auf, sich für den Schutz von Julian Assange, seine sofortige Freilassung und politisches Asyl für ihn in Europa einzusetzen und sich gegen das Auslieferungsersuchen der Vereinigten Staaten auszusprechen.“
Daraus wurde:
„Eines besonderen Schutzes bedürfen auch investigative Journalisten und Hinweisgeber wie Julian Assange. Sie bringen Verbrechen und gesellschaftliche Missstände ans Licht. Ihr Schutz ist essenzieller Bestandteil der Pressefreiheit, die es nach innen und außen dringend zu verteidigen gilt.“
Der freiwillige Kniefall vor dem „großen Bruder“ blieb uns bis zum Schluss erhalten. Uns ist bisher keinerlei offizielle Verlautbarung aus den Häusern Baerbock und seitens des Bundesvorstandes bekannt, die von der Linie des „Augen zu und durch“ abweichen würde. Und das blieb so bis zu seiner realen Freilassung. Weder der Bundesvorstand unserer Partei noch das Auswärtige Amt unter Leitung von Annalena Baerbock kommentierten die Freilassung positiv. Es bleibt der fade Geschmack des „zweierlei Maß“ hinsichtlich der universellen Menschenrechte bei unseren Spitzenpolitiker*innen.
Während sie und andere in Verantwortung stehende Politiker*innen sich zu Recht über inhaftierte Journalist*innen in Russland und anderen autokratisch regierten Ländern empören, sagen sie nichts über gleichartige Vergehen von verbündeten „Wertepartnern“ wie den USA und mehr oder auch weniger demokratisch verfassten Ländern, sofern sie nur zu irgendwie gearteten Bündnispartnern gerechnet werden, frei nach dem Motto „… es mögen zwar Verbrecher sein, aber es sind die unseren“.
What is left?
Julian Assange ist, nachdem er sich der Spionage schuldig bekennen musste, in den Vereinigten Staaten von Amerika vorbestraft. Dieses Land wird weiterhin alle Versuche bekämpfen, US-amerikanische Kriegsverbrechen aufzudecken. Das Spionagegesetz, geschaffen im ersten Weltkrieg, sollte u.a. Ungehorsam im Militär verhindern. Der Krieg endete, aber das Gesetz blieb. Auch Friedensnobelpreisträger Barack Obama brachte es gegen Whistleblower in Stellung, und das gleich mehrfach. Wir müssen weiterhin gemeinsam mit anderen Organisationen dafür kämpfen, dass Journalist*innen überall auf der Welt ihre Arbeit machen können, ohne dafür verfolgt und bestraft zu werden.