Rückwärts immer, Vorwärts nimmer!

Der Bauernaufstand am Montag, 8.1.2024 hat das Zeug, die Republik ein Stück weiter zu verändern. Die Steilvorlage dazu liefert der Abwärtstrend der Ampelregierung. Dieser geht übergangslos in einen Absturz über. Nach allen bisherigen Krisen, Fehlereingeständnissen und Besserungsgelöbnissen kommen die Zusammenbrüche in immer kürzeren Zeitabständen. Zum Hauptgrund des Dilemmas, der grottigen Finanzierung- und Haushaltspolitik des Laienspieler-Duos Scholz und Lindner, die vor – sage und schreibe – über sieben Wochen durch das BVG-Urteil[1] zusammenbrach, gibt es nach wie vor keinen stimmigen oder gar abgestimmten Lösungsvorschlag, der von allen in der Regierung mitgetragen würde.

Stattdessen wird rumgepfriemelt und gewurschtelt wie in einem schlechten Schmierentheater. Ein Loch wird geschlossen, indem zwei neue aufgerissen werden. Gekürzt wird vornehmlich im Sozial[2]-, Klima- und Naturschutzbereich[3], also in den Hauptbereichen von SPD und Grünen. Reichensteuern, Flugbenzinsteuer, Dieselvergünstigung, Dienstwagen- und ähnliche Privilege bleiben unantastbar, dank FDP-Klientelpolitik. Das neue Loch der aktuellen Rücknahme der Entscheidung wird auf Kosten des Naturschutzes[4] zugeschüttet, hier merkt es keiner, hier gehen keine Tausende auf die Straßen und blockieren. Nur die Natur verreckt einen Ticken schneller. Und fast 1,5 Mrd. € werden bei Humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit gekürzt. Die Ärmsten der Armen und die jetzt schon in Millionen leidenden Klimaopfer werden es nicht auf Deutschlands Straßen zum Protest schaffen, da lässt sich also leicht und einfach Geld einsparen.

Baueropfer oder Bauernaufstand?

Dass dann ein gewaltiger Tropfen aus dem Bereich „Landwirte“ entnommen werden sollte, wunderte doch etwas. Sind die heutigen Landwirte doch vom Einkommen her zumindest zu einem nicht unerheblichen Anteil (14 % über 1000 ha)[5] Großgrundbesitzer oder Industriebetriebe und somit FDP-Klientel. Und sie werden von der EU-Subventionspolitik gepampert, nicht nach Qualität, je grösser der Betrieb, desto interessanter die Subvention. Das ist der eigentliche Skandal. Dass auf der anderen Seite die Ökolandwirte mit ihren höheren Herstellungskosten ohne Gift und Kunstdünger – und insgesamt deutlich höherem Aufwand eben auch beim Fahrzeugeinsatz – von den Kürzungen besonders betroffen sind, entging den Grünen wohl.

10 % der Kürzungen bei insgesamt nur 1,4 % des Haushaltes sind schlicht unangemessen. Aber das Problem ist nicht der Agrardiesel, das Problem ist das Einkaufskartell von Aldi/Lidl/Edeka & Co. Dagegen sollte die Regierung vorgehen, das hülfe den kleinen Betrieben, die als die Leidtragenden dastehen. Die Lobbyisten in der Regierung waren wohl gerade anderweitig beschäftigt. Der zuständige Minister jammert, u.a. auf einer Bauerngroßdemo und beteuert, er warne vor solch radikalen Kürzungen. Offenbar wurden die Beschlüsse, anders als sonst, nicht in einer Ministerrunde vorab geklärt.

Lässt sich die Regierung erpressen?

Jetzt haben Scholz und Lindner aber offenbar übersehen, dass die Landwirte in Deutschland schon immer die Gruppe waren, die sich am ehesten zur Wehr setzt. Erinnert sei an die legendären Bauernaufstände[6] vergangener Zeiten. Dass die Planungen – nach langen vier Wochen – vor wenigen Tagen erst „ausgewogen, ausdiskutiert und unstrittig innerhalb der Ampel“ gewesen seien, hat eh niemand geglaubt. Dass aber eine Gruppe einen Anteil des Finanzloches schultern sollte, der weit über ihrem Anteil an der Gesamtwirtschaft liegt, war offenbar nicht zu vermitteln. Zumal bei der Streichung der Kfz-Steuerbefreiung ein unzumutbarer und wahrscheinlich auch für die Ämter unbeherrschbarer Aufwand entstanden wäre, wenn jeweils in den Erntewochen Hunderttausende von Anhänger und Spezialfahrzeuge an- und kurz später wieder abgemeldet worden wären. Umgehend wurde also nach den ersten Drohungen der Bauernschaft – wie gehabt bei anderen starken Lobbygruppen – zurückgerudert. Dass nach Protesten der Sozialverbände, eine der vergangenen Kürzung zurückgenommen worden wäre, ist nicht bekannt. Im Gegenteil. Hier trommelt der verantwortliche Minister Heil (SPD) dafür, auch noch den asozialen Sanktionsdruck gegen eine frei erfundene Zahl sogenannter Drückeberger zu erhöhen.

Nur beeindruckt das die aufgebrachte Bauernschaft wenig, der Großkampftag am Montag wird nicht abgesagt. Im Gegenteil versuchen noch am Tag der Verkündigung der Teilrücknahme der Kürzungsentscheidungen aufgebrachte Bauern dem hier nicht direkt schuldigen Minister Habeck an den Hals zu gehen, als dieser nach seinem Urlaub auf einer Hallig die Fähre verlassen wollte. Unter Polizeischutz musste er zurück auf die Hallig flüchten, ein wohl einmaliger – aber finstere Erinnerungen wachrufender – Fall von Gewalt gegen einen Politiker in der jüngeren deutschen Geschichte.

Interessant wird es sein, zu sehen, wie sich Polizei, Politik und Gerichte bzgl. der angedrohten Blockaden verhalten werden.[7]. Wird in Deutschland mit gleichem Maß gemessen, müsste – analog zu den Klimaklebern – mit Gewalt geräumt, die Personalien aufgenommen und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt und – nach bayrischem Muster – zu Knast verurteilt werden. Die Störungen sind im Vergleich zur Letzten Generation bereits viel heftiger und außerdem in Teilen und im Gegensatz zu den Klimaprotesten, gewaltbereit. Die Gründe hingegen rechtfertigen das Verhalten dieses Teils der Bauernschaft nicht. Bei den Klimaklebern geht es immerhin um das Anprangern massiver Gesetzesverstöße (BVG-Urteil zur Klimapolitik[8]) und deren Zukunft in 50 Jahren. Bei den Bauern geht es ums liebe Geld in der Kasse, das Absenken von Privilegien und alles in allem um recht unterschiedliche Ausgangslagen in der Bauernschaft selbst (siehe z.B. die Bevorteilung der landwirtschaftlich konventionellen Großbetriebe). Es sind die Vertreter der agrarischen Großindustrie, die auch die Verbände beherrschen und die Proteste für ihre Interessen zu nutzen wissen. Bekanntlich sind alle Landwirte gleich, aber manchen eben stets ein bisschen gleicher. Hier findet sich gerade eine Negativkoalition zusammen, die im echten Leben nicht wirklich eindeutige gemeinsame Interessen hat.

Rechte Unterwanderung?

Am 8. Januar 2024 sollen die Proteste fortgesetzt werden, sollte die Regierung den Forderungen der Bauern nicht nachgeben. Rechtsextremisten und Querdenker versuchen, diese Proteste für ihre Zwecke zu kapern. Nachrichten von einem geplanten Generalstreik machen auf Whatsapp, Facebook, Telegram & Co. die Runde. Bereits in den letzten Wochen waren auf Demos der Bauern vereinzelt rechtsextreme Symbole zu sehen gewesen. In Stuttgart zeigten Bauern beispielsweise die Fahne der rechtsextremen Landvolkbewegung, die ein Wegbereiter der NSDAP war.[9]

Schon 2020 haben in Schleswig-Holstein Hunderte Bauern mit Treckern das Symbol einer gewalttätigen Bewegung aus den 1920er Jahren nachgestellt, von der die NSDAP profitierte. Sie stellten ihre Traktoren Lokalmedien zufolge im nordfriesischen Oldenswort so auf, dass aus der Luft ein riesiger Pflug und ein Schwert zu erkennen war.[10] Am vergangenen Wochenende waren NS-Banner auf einer Trecker-Demo in Nürnberg zu sehen. Zugleich wirbt die AfD verstärkt um die Bauern als neue Wählergruppe, verschweigt aber, dass sie deren Privilegien weitgehend abschaffen will. Es geht zu Recht die Sorge um, dass die Landwirte von rechts unterwandert werden.[11]

Die Sitten verrohen, die Aggressionen steigen, der Ton wird rauer.

Die Aktion gegen Minister Habeck am 4.1.2024 in Schüttsiel (Schleswig-Holstein) ist nochmal auf einem anderen (viel tieferen) Niveau: „Medienberichten zufolge haben Landwirte die Ankunft Robert Habecks aus dem Urlaub mit der Fähre in Schüttsiel verhindert. Aus Sicherheitsgründen legte die Fähre samt Vizekanzler wieder ab. Wie das zdf berichtet, sollen mehrere hundert Menschen demonstriert haben. 30 Beamte seien im Einsatz gewesen.“[12] Das ist schlicht Bruch des Landfriedens, verhaftet wurde … niemand. Man darf gespannt sein, ob die Ermittlungen zu einer Anklage oder gar zu einer Verurteilung führen. Ob Rechtsradikale oder Reichsbürger (Özdemir: „Das sind Leute, denen geht es nicht um die deutsche Landwirtschaft, die haben feuchte Träume von Umstürzen, und das wird es nicht geben.“[13]) beteiligt waren oder dies gar geplant oder initiiert hatten, sei dahingestellt. Wenn die Masse der Demonstranten dem zusieht und nicht eingreift, macht sie sich mit schuldig. Wird es am Montag Verletzte geben? Wenn nicht, wann dann? Bald, steht zu befürchten.

Nur die vorhandenen Pöstchen verhindern noch Neuwahlen

Würden die Abgeordneten von FDP, SPD und Grünen nicht schlimmer als die Klimakleber am Asphalt an ihren Stühlen kleben, gäbe es schon längst Neuwahlen. Aber man kann rechnen: In allen drei Ampelparteien werden die Mandate etwa halbiert werden, die FDP würde vermutlich gänzlich rausfliegen. Da gibt es doch gewisse Hemmungen, die Konsequenzen aus dem Scheitern zu ziehen. Ob dabei unser Staat zugrunde gerichtet wird oder die Demokratie so nachhaltig geschädigt wird, dass sie sich auf etliche Jahre nicht mehr erholen wird, scheint da zweitrangig!

Die Stimmung ist schon lange gekippt, und jede neue Panne und Unfähigkeit macht alles noch schlimmer. So schlechte Umfragewerte wie die aktuelle hatte noch keine Regierung, seit Beginn der Erhebungen 1997 dieser systematisch erfassten Werte. Nur 17 % waren demnach zufrieden mit der Arbeit der Ampelkoalition, 82 % gaben an, weniger oder gar nicht zufrieden zu sein. [14] Ein Problem: Auch bei der Opposition sieht es nicht besser aus, sie ist keine Alternative und hat genauso wenig – wie die Ampel – bei einer Neuwahl eine realistische Chance eine (besser) funktionierende Regierung zu bilden. Und die Parteizersplitterung geht weiter …

Die AfD rangiert stabil oberhalb der 20 %, im Osten – wo dieses Jahr 3 x gewählt wird – über 30 % und in allen drei Wahl-Ländern ist sie derzeit die stärkste Partei in den Umfragen. Ob sich daran etwas ändert, wenn die Wagenknechtpartei mit auf dem Stimmzettel steht oder gar die nächste neue Partei, aus der CDU-Werte-Union des Hans-Georg Maaßen[15] entstehend, ist fraglich. Möglicherweise behält die AfD ihre Wählerschaft und Wagenknecht und Maaßen bedienen sich bei dem unzufriedenen Rest der bisherigen Altparteien. Fraglich ist auch, ob die „Brandmauer“ der rechts-gefährdeten CDU/CSU hält. Die Aiwanger Affäre zeigt auch, dass ein rechtsradikal neofaschistisches Bündnis das bis in diese bürgerlich konservativen Parteien reicht, denkbar ist. Die drei Länder – und in der Folge – Deutschland – wären entweder unregierbar oder hätten eine Rechtsregierung mit faschistischer Beteiligung (oder faschistisch geführt!). Hallo, Ungarn oder guten Morgen, Polen?

Um ein weiteres, sinngemäßes Zitat von Erich Honecker zu bemühen und Scholz in den Mund zu legen: „Die Union bewegt sich mit Riesenschritten auf den Abgrund zu … und wir sind dabei sie zu überholen!“

Karl-W. Koch

Zum Thema: https://umweltinstitut.org/landwirtschaft/meldungen/bauernproteste-es-geht-laengst-nicht-mehr-um-den-dieselpreis/


[1] https://www.tagesschau.de/inland/bundesverfassungsgericht-schuldenbremse-102.html

[2] https://www.fr.de/wirtschaft/gefahr-ampel-kuerzt-rentenzuschuss-2024-erhoehung-der-rente-in-zr-92730893.html

[3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-01/haushalt-2024-kuerzung-meeresschutz-klimaschutz-umweltministerium

[4] Fragen und Antworten zu Einsparungen im Agrarbereich, versandt am 5.1. von MdB Ophelia Nick via Debatte.BAG.Landwirtschaft: „Zur Deckung der Haushaltslücke trägt BMEL an verschiedenen Stellen bei: …“

[5] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Tabellen/betriebsgroessenstruktur-landwirtschaftliche-betriebe.html

[6] https://www.planet-wissen.de/geschichte/neuzeit/der_bauernkrieg/index.html

[7] https://www.landundforst.de/landwirtschaft/betrieb/bauernproteste-misthaufen-galgen-umgedrehte-schilder-legal-570569

[8] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html

[9] https://www.zvw.de/stuttgart-region/generalstreik-rechtsextreme-und-querdenker-wollen-bauernprotest-kapern_arid-755440

[10] https://taz.de/Bauernprotest-in-Schleswig-Holstein/!5689633/

[11] https://www.deutschlandfunk.de/bauern-demos-ns-banner-nur-einzelfaelle-100.html

[12] https://www.landundforst.de/landwirtschaft/agrarpolitik/habeck-verlassen-faehre-gehindert-staatsanwaltschaft-ermittelt-570575

[13] ebenda

[14] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-01/deutschlandtrend-olaf-scholz-beliebtheit-tiefstwert

[15] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/maassen-gruendung-neuer-partei-100.html

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