Autor Dietrich Schulze-Marmeling, Edition Einwurf im Herbst 2024
Gleich vorweg geschickt: Für politisch Links stehende Zeitgenossen und -genossinnen ist dieses Buch ein „must have“.
Die Diskussionen, die das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 auslöste, erreichen eine Qualität, die geeignet ist, selbst tiefe, langjährige und nicht nur, politische, Freundschaften zerbrechen zu lassen. Schulze-Marmeling beschreibt in seinem sehr persönlichen Vorwort, dass es hier um eine essenzielle und existenzielle Lebenseinstellung geht, die keine Kompromisse erlaubt. „Die schockierenden Reaktionen von Teilen der Linken sind Ausdruck einer ethisch-moralischen, aber auch ideologischen und politischen Krise, die nicht erst mit dem 7. Oktober begann, Empathielosigkeit war auch schon beim russischen Massaker von Butscha zu beobachten, weshalb es in diesem Buch nicht nur um das Massaker der Hamas und den Israel-Palästina Konflikt geht.“
So war denn “Auslöser für dieses Buch, das zumindest in Teilen eine Streitschrift ist, (…) das Massaker vom 7 Oktober und die Reaktion von Teilen der linken, die den Opfern mit Empathielosigkeit begegneten, den antisemitischen Gehalt der Tat ignorierten und die Hamas zu einer Widerstandsorganisation verklärten.“ Und damit befeuerten sie den zunehmenden Antisemitismus und Rassismus.
Als politisches Urgestein verweist er auf parallelen der Diskussion, die bereits in den 1980iger Jahren dazu führte, die Grundsatzfrage zu stellen: Was ist eigentlich Links?
Wer sich auf politische Diskussionen mit „Pro-Palästinensern“ bei uns einlässt oder die Demonstrationen dieser Gruppierungen auf sich wirken lässt, wer die Diskussionen in den USA, Frankreich und weiteren Regionen verfolgt, kann es nicht übersehen: Da bricht sich gnadenloser, unerbittlicher Antisemitismus Bahn, dessen Gift sich bis tief in die Köpfe eines Teils der Linken frisst.
So findet die (lt. Süddeutschen Zeitung) „ … berühmteste linke Denkerin der Gegenwart“, Judith Butler, sie habe das Massaker „nur nicht gemocht“ es hatte ihr nur „nicht gefallen“, das Massaker sei „keine terroristische Attacke und auch nicht antisemitisch gewesen sondern lediglich ein Akt des bewaffneten Widerstands“ und es wurde noch zynischer und kälter: obwohl auch die UN gerade bestätigt hatte dass es beim Massaker zu Vergewaltigungen gekommen war, bezweifelte Butler dies. Ob es Belege für die Behauptung über Vergewaltigungen israelischer Frauen gibt oder nicht, ok, wenn es Belege gibt, dann “bedauern wir das“ aber wir wollen Belege sehen. Diese öffentlich geäußerte Kaltschnäuzigkeit einer Prominenten, wird selbstverständlich regelmäßig von der Anhängerschar getoppt.
240 Seiten, Paperback
ISBN 978-3-89684-713-3
20 €, Edition Einwurf
Nun ist das alles nichts Neues. Wenn etwa Linke antisemitische Taten der PFLP verteidigten, z.B. bei der Entführung des Kreuzfahrtschiffes Achille Lauro (9. Oktober 1985) zur Freipressung von in Israel inhaftierten palästinensischen Terroristen: „Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, schossen sie nach Augenzeugenberichten dem teilgelähmten US-amerikanischen Touristen jüdischer Abstammung Leon Klinghoffer (69) [1]aus nächster Nähe in Brust und Kopf und zwangen anschließend den Schiffsfriseur und einen Kellner, die Leiche samt Rollstuhl über Bord zu werfen.“[2] [3] Es ist geradezu eine Beleidigung postkolonialer Bewegungen des hinter uns liegenden Jahrhunderts, diese mit den Mördern vom 7.10.23 in einem Atemzug zu nennen. Der Publizist Detlef zum Winkel setzt sich mit dem berüchtigten Post Massaker Tweet „this is decolonisation“ auseinander. Zum Winkel: „Nein so haben wir uns eine Dekolonisierung nicht vorgestellt. So etwas haben sich auch der Vietkong oder die algerische Befreiungsbewegung FLN nicht vorgestellt, auch nicht die kubanischen Revolutionäre oder die von Mosambik. In Kambodscha seien allerdings solche Verbrechen massenhaft verübt worden. Damit hätten sich die Roten Khmer und ihre Unterstützer unweigerlich aus allen Linken zusammenhängen herauskatapultiert, auch wenn manche lange brauchten, um das einzusehen. 2023 ist das mit der Hamas offensichtlich anders. Die Linke ist nicht besser geworden eher ist das Gegenteil der Fall. Zum Winkel weiter, „… Es gab Gewalttaten von Befreiungsbewegungen die nach heutigem Sprachgebrauch als terroristisch bezeichnet werden würden, weil aus dem Hinterhalt geschossen oder versteckte Sprengsätze gezündet wurden. Die Gewalt zielte gegen bedeutende Repräsentanten oder militärische und polizeiliche Einrichtungen, von denen die Unterdrückung ausging. Die wahllose Hinrichtung möglichst vieler Zivilisten, darunter Frauen, Kinder, Alte, gehört weder zum Programm noch zur Praxis jener Bewegungen. Das ist ein wesentlicher Faktor.“
„Ihre Doppelstandards, der Mangel an gesundem Menschenverstand, die Verleugnung der Grundwerte, für die in Europa in den vergangenen 200 Jahren gekämpft wurde, und die endlosen paranoid-selbstkritischen Schleifen, lassen sie in den Augen vieler grotesk und unzuverlässig erscheinen. Die Linke habe ihre Leitwerte verraten, was eine doktrinäre Spaltung unvermeidlich und notwendig mache“. (Eva Illouz). So ist es – leider.“
Schulze-Marmeling mahnt die Linke, universelle Menschenrechte zu verteidigen.
Dietrich Schulze-Marmeling, 1956, Kamen. freier Publizist. Er hat zu friedenspolitischen Themen und zum Nordirland Konflikt geschrieben. Ist einer der bedeutendsten und produktivsten Autoren des Sportjournalismus zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs. Besonders verdienstvoll sind seine Bemühungen um die Rekonstruktion der jüdischen Fußball Geschichte, die nahezu vollständig verdrängt war.
[2] Die Entführung der Achille Lauro
[3] Interessant an der Sache ist, dass Odfried Hepp aus französischer Haft als Deutscher freigepresst werden sollte. Hepp, Neonazi, inoffizieller Stasi-Mitarbeiter und für die PLF unter dem Kampfnamen Omar Saad Tariq arbeitend. Die „Hepp-Kexel-Gruppe“ beging 1982 verübte Anschläge gegen US-Einrichtungen und finanzierte sich u.a. über Banküberfälle in Deutschland.