Zschäpes Draht zum Verfassungsschutz

Mit freundlicher Genehmigung des Autoren, Detlef zum Winkel, 16.4.2025

Beate Zschäpe, als Mitglied der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) zu lebenslänglicher Haft verurteilt, soll im November 2011 zwölfmal beim Verfassungsschutz angerufen haben. Das enthüllte Bild Ende März und versah es mit dem Untertitel:­ »Wie die Behörden noch immer ihre Kontakte zu Beate Zschäpe vertuschen«.

Bekanntermaßen erfuhr Zschäpe rasch vom gescheiterten Banküberfall und dem Tod ihrer beiden Kumpane Uwe Mundlos und Uwe Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach. Wenig später verließ sie die Zwickauer Wohnung, in der sich das Trio jahrelang versteckt hatte, und setzte sie in Brand. Vier Tage reiste sie durch die Republik mit Stationen in Hannover und Halle (Saale), bis sie sich am 8. November in Jena der Polizei stellte. Weitere drei Tage später wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz Akten geschreddert. Sie betrafen die sogenannte Operation Rennsteig: die Anwerbung von V-Männern des VS im Thüringer Nazi-Milieu.

Dienstweg nicht eingehalten

Bild ergänzt nun, was ein Abteilungsleiter der Bundespolizei ­offenbart habe: Dessen IT-Abteilung erhielt im Dezember 2011 den Auftrag vom Bundeskriminalamt (BKA), Zschäpes Handy auszu­lesen. So geschah es auch, aber dann wollte das BKA plötzlich, dass diese Telefondaten gelöscht werden. Besagter Abteilungsleiter will das verhindert haben – weil der korrekte Dienstweg nicht eingehalten worden sei. Er äußerte jedoch auch die Vermutung, dass dadurch womöglich ein BKA-Kontakt oder V-Mann in Zschäpes Umfeld verheimlicht werden sollte.

Seine befremdliche Erfahrung teilte der Bundesbeamte demnach bereits im Februar 2012 sowohl der Bundesanwaltschaft als auch zwei hochrangigen Beamten im Bundesinnenministerium mit, Klaus-Dieter Fritsche und Hans-Georg Engelke, der eine damals Staatssekretär, der andere zuständiger Referatsleiter für die Bundes­polizei. Dort verblieb dieses Wissen 13 Jahre lang, es war gleichsam in besten Händen.

Der Bericht der Boulevardzeitung wurde von offizieller Seite weder kommentiert noch dementiert. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland befragte ungenannt bleibende Fachleute nach deren Einschätzung. Sie bestätigten die Geschichte als »im Kern richtig«, aber in einigen Details ungenau. Offenbar gibt es noch weitere Meister der Diskretion.

Warum Zschäpe beim Verfassungsschutz anrief, was sie dort verhandeln wollte oder womöglich verhandelt hat, wissen wir nicht. Nur einer meint, es ganz genau zu wissen: Jürgen Elsässer, der Herausgeber des rechtsextremen Magazins Compact. In denkbar plumper Weise argumentiert Elsässer, Zschäpe sei gar keine »Nazibraut«, sondern eine »Geheimagentin« gewesen, die von ihren staatlichen Auftraggebern zuletzt fallengelassen worden sei.

Wie eine Vielzahl von Schlaumeiern der AfD möchte Elsässer suggerieren, es gebe keine Nazi-Gefahr, vielmehr werde die Gewalt von rechts nur aufgebauscht oder sogar von staatlichen Stellen inszeniert, um der AfD zu schaden. Derlei ist nur zu entgegnen: Der nationalsozialistische Untergrund dieser Gesellschaft braucht keine staatliche Aufforderung, um Flüchtlingsheime anzuzünden oder Serienmorde an Gewerbetreibenden ausländischer Herkunft zu verüben, wie es der NSU tat.

Die neue Enthüllung nährt den Verdacht, dass die Nazi-Terrorist­en jahrelang von staatlichen Stellen, insbesondere in diversen Verfassungsschutzämtern, gedeckt wurden. Wider besseres Wissen wurde die falsche Spur der »Dönermorde« gelegt und bis zum November 2011 offiziell verfolgt. Dabei hatten Dissidenten in der Thüringer Polizei keinen Hehl aus ihrer Überzeugung gemacht, die Fahndung nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sei womöglich vom Verfassungsschutz hintertrieben worden. Entsprechende Aus­sagen machten schon vor zehn Jahren Thüringer Zielfahnder, Beamte der Sonderkommission Rechtsextremismus, des Staatsschutz­dezernats im LKA und der Gewerkschaft der Polizei.

Strafvereitelung im Amt 

Im Münchner Prozess gegen Zschäpe und ihre Helfershelfer von 2013 bis 2018 war das kein Thema. Das Gericht lehnte es damals ab, darüber zu verhandeln. Stattdessen sollten Parlamente das »Staats­versagen« aufklären, das sich bei der Mordserie gezeigt habe. NSU-Untersuchungsausschüsse gab es im Bundestag und in acht Landesparlamenten. Keiner von ihnen brachte die Information über Zschäpes Telefonanrufe ans Licht. Faktisch unterwarfen sie sich der provozierenden Forderung des bereits genannten Klaus-Dieter Fritsche (CSU) an den Untersuchungsausschuss des Bundestags: »Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.«

Auf Anfrage von Bild konnte Dorothea Marx (SPD), die früher dem NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen vorsaß, sogar bestätigen, dass Zschäpe »zehnmal oder mehr« die Nummer der Abteilung Verfassungsschutz im Innenministerium Thüringen angerufen habe. So stehe es in geheimen Akten. Auf die Frage von Bild, wen Zschäpe damals angerufen hatte, antwortete Marx: »Das ist so lange her, ich kann mich nicht erinnern … «

Dass die Öffentlichkeit ausgerechnet durch Bild ein solches entscheidendes Detail erfährt, stellt dem deutschen Rechtsstaat ein Zeugnis mit der Gesamtnote ungenügend aus. Dieser Makel muss nicht zwangsläufig bestehen bleiben. Um ihn zu beheben, müsste sich eine Staatsanwaltschaft finden, die ein Verfahren gegen 40 bis 50 Personen wegen Strafvereitelung im Amt eröffnet. Die Namen sind oft genug genannt worden, der Verdacht ist hinreichend.

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