Was bringt eine Lösung des Nahostkrieges näher?

Und vor allem:

Darf Unrecht mit Unrecht vergolten werden?

Positionspapier zur aktuellen Entwicklung des neuen Nahostkrieges von Karl-W. Koch und Simon Lissner, Stand 29. Oktober 2023

Die barbarischen Verbrechen und Pogrome gegen wehrlose Kinder, Frauen und Alte seitens der Hamas-Terroristen am 7. Oktober erschüttern und sind durch nichts zu rechtfertigen.[1]  Die Hamas trägt ihren Kampf auf dem Rücken der Palästinenser*innen aus. Sie nimmt in völliger Verantwortungslosigkeit ihre eigene Bevölkerung als Schutzschild und hindert sie daran, aktiv der Aufforderung Israels zu folgen und das nördliche Gebiet in Richtung Süden zu verlassen.

Die wahllosen Entführungen und Geiselnahmen zum Zwecke der Erpressung von mehr als 200 Menschen, nach den vorliegenden Berichten überwiegend Kinder, Frauen und Alte, ist kriminell, unverantwortlich und ein Kriegsverbrechen.

Bereits heute (29.10.2023) sind mehr als 7.000 Tote, weitgehend Zivilist*innen, darunter Tausende Frauen und Kinder, im Gazastreifen zu beklagen.[2] Das zeigt, dass das Verhalten der israelischen Regierung zu keiner Lösung führen wird, sondern die Lage weiter verschärft. Und das, bevor der Einmarsch in den Gazastreifen gestartet ist.

Ohne völlige Zerschlagung der Hamas[3] keine Lösung

Hass und Gewalt treiben die Menschen im Nahen Osten weiter auseinander und führen zu immer neuer Eskalation.

Die Hamas hat diesen Krieg mit einem ganz konkreten politischen Ziel vom Zaun gebrochen: um Frieden zu verhindern. Vor 15 Jahren sah dies noch anders aus: Damals hatte die Hamas einen Waffenstillstand (Hudna) von 40 Jahren angeboten, unter der Voraussetzung, dass sich Israel auf die Grenzen von 1967 zurückzieht, wie es die Arabische Friedeninitiative von 2007 vorsah und die Res. 242 des UN-Sicherheitsrates fordert.[4] Das zeigt auch deutlich die extreme Radikalisierung der Hamas seit damals, heute wäre das undenkbar.

Nach Friedensabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain stand Israel kurz vor der Unterzeichnung eines historischen Friedensvertrags mit Saudi-Arabien. Er hätte geholfen, die Beziehungen zwischen Israel und großen Teilen der arabischen Welt zu normalisieren. Auf Drängen der Saudis und der Amerikaner sollten die Bedingungen des Abkommens erhebliche Zugeständnisse an die Palästinenser beinhalten, um das Leid von Millionen von ihnen in den selbstverwalteten Gebieten sofort zu lindern, die Eskalationen der Siedler*innen zu unterbinden und den israelisch-palästinensischen Friedensprozess wieder in Gang zu bringen. Die Aussicht auf Frieden und Normalisierung sah die Hamas offenbar als tödliche Bedrohung.[5] Genau das ist jedoch der einzige Weg, die Hamas dauerhaft auszuschalten.

Die Finanzierung der Hamas[6] kommt aus vornehmlich vier Quellen: Steuereinnahmen in Gaza, Spenden von Exilpalästinenser*innen, aus dem Iran und aus Katar. Die Steuernahmen erhält die Hamas als 2007 gewählte Regierungspartei. Danach erfolgten allerdings keine weiteren Wahlgänge. Ob die Hamas heute eine Mehrheit in Gaza bekäme, ist fraglich[7], im Westjordanland legt sie allerdings laut dortigen Umfragen zu und wäre mittlerweile vermutlich stärker als die dort regierende Fatah. Diese hat allerdings ebenfalls die letzten vorgesehenen Wahlgänge allesamt ausfallen lassen. Insgesamt legen im Westjordanland die radikalen Parteien deutlich zu.[8]

Mit der Hamas über ein Friedensabkommen zu verhandeln ist aussichtslos. Das erklärte Ziel, von dem ein Abweichen innerhalb der Hamas undenkbar ist, ist die völlige Vernichtung Israels und die Rückgabe aller betroffenen Gebiete an die Palästinenser*innen. Dass dort vor 1945 auch Jüd*innen lebten, wird negiert. Wenn also in Zusammenhang mit einem geplanten Genozid die Rede ist, ist zuerst die Hamas und ihre Unterstützer angesprochen. Ein Existenzrecht Israels wird nicht anerkannt werden, da das gegen die diesbezügliche Deutung des Islam spreche. Was die konkreten Folgen des Antisemitismus und Antizionismus angeht, so lässt sich aufgrund der klaren und offenen Wortwahl der „Hamas“ konstatieren: „Die Juden und der Staat Israel sollen bis zur Vernichtung und Zerschlagung gewalttätig bekämpft werden.“[9]

Israels Regierung
– Teil der Lösung oder Teil des Problems?

Die Regierung Israels handelt offenbar unüberlegt und ohne jede Planung für das „Danach“. Und das, nachdem offen erkennbare Fehler eben dieser Regierung den Überfall der Hamas am 7. Oktober erst ermöglicht haben: „Man habe sich zu sehr auf das Westjordanland und die Hisbollah fokussiert, heißt es auch vonseiten einiger Experten. Das habe zu einer zu dünnen Präsenz im Süden des Landes geführt. Israelische Verantwortliche hätten Sicherheitskräfte im Westjordanland konzentriert und sich zu sehr auf technische Mittel wie den Grenzzaun verlassen“, sagte etwa Audrey Kurth Cronin, Leiterin des Carnegie Mellon Institut für Strategie und Technologie in Pittsburgh.[10]

Es  bestimmen offenkundig aktuell, gemeinsam mit Netanjahu und den Vertreter*innen der rechtsradikalen Siedler*innen und rechtsextrem-religiösen Parteien die falsche Mitglieder der aktuellen israelischen Notstandsregierung den Kurs der völlig falschen Richtung.

So äußerte sich Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant bereits in den ersten Tagen: „Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend[11] und „Der Gazastreifen wird nicht mehr so sein wie vorher. Wir werden alles liquidieren.“ Diese Zitate sind als Kriegsverbrechen zu bezeichnen, da einer ganzen Bevölkerung der Zugang zu Elektrizität, Lebensmitteln und Brennstoff verwehrt und die Hinrichtung Unbeteiligter angedroht wird.

May Golan, die israelische Ministerin für die Förderung der Stellung der Frau, erklärte, dass „alle Infrastrukturen im Gazastreifen zerstört und der Strom sofort abgeschaltet werden müssen … Die gesamte Infrastruktur des Gazastreifens muss bis auf die Grundmauern zerstört werden und der Strom muss sofort abgestellt werden. Der Krieg richtet sich nicht gegen die Hamas, sondern gegen den Staat Gaza“.[13] Der israelische Energie- und Wasserminister Yisrael Katz: „Sie werden nicht einen Tropfen Wasser oder eine einzige Batterie erhalten, bis sie die Welt verlassen.“[14]

Widerstand in Israel
– die Demokratie funktioniert noch

Im Gegensatz zu Gaza und dem Westjordanland ist Israel nach wie vor eine funktionierende Demokratie. Daran ändern weder Netanjahu, der mit einem Bein im Gefängnis steht[15],  noch die extremistischen Minister[16] seiner Regierung und die Versuche, den Rechtsstaat zu schleifen, etwas. Hunderttausende demonstrierten regelmäßig gegen die Abschaffung des Rechtsstaates und auch aktuell finden laufend Demonstrationen gegen das Vorgehen im Gazastreifen statt, wobei diese zumindest auch teilweise den Schutz der Geiseln im Blick haben. Diese könnten bei einem Einmarsch nach Gaza die ersten Opfer sein. Aber auch in Gaza gab es in der Vergangenheit vergleichbare Demonstrationen, wenn auch deutlich weniger.[17]

Die humanitäre Katastrophe

Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen weitet sich aus. Wie die WHO mitteilt, sind zwölf der insgesamt 35 Krankenhäuser nicht mehr in Betrieb, weil sie zerstört wurden oder nicht mehr über Elektrizität verfügen. Unter anderem sind rund tausend Dialysepatient*innen, 130 frühgeborene Säuglinge sowie viele Patient*innen, die in Intensivbehandlung sind oder operiert werden müssen, in akuter Gefahr. Krankenhäuser im Norden können nicht mehr versorgt werden, solange keine humanitäre Feuerpause gewährt wird; für die Krankenhäuser im Süden reichen die Hilfslieferungen an Medikamenten und anderem medizinischen Material, die in geringem Umfang inzwischen eintreffen, nicht aus.[18] Auch die Nahrung wird knapp. Bislang gelangten erst 54 Lkw in den Gazastreifen; vor Kriegsbeginn kamen Berichten zufolge 100 pro Tag. Dabei sind die Hilfslieferungen teils unbrauchbar: Reis und Linsen etwa können wegen des Mangels an sauberem Wasser und an Brennstoffen nicht gekocht werden. Immer mehr Menschen geht das Trinkwasser aus. Wassermangel und Massenflucht führen zu desolaten hygienischen Bedingungen; Ärzte registrieren bereits einen Anstieg einschlägiger Krankheiten. Bei israelischen Angriffen sind bereits mindestens 5.791 Menschen zu Tode gekommen, darunter 2.360 Kinder. 1.550 Menschen werden vermisst.[19] Am 25. Oktober spricht das ZDF von 7.000 Todesopfern, darunter 2.665 Kinder und Jugendliche.[20] Bei früheren Konflikten zwischen Israel und Hamas stellten sich die von den Behörden in Gaza veröffentlichten Opferzahlen nachträglich als relativ akkurat heraus. „Die Zahlen mögen nicht minutengenau perfekt sein, aber sie spiegeln weitgehend das Ausmaß von Tod und Verletzung wider“, sagte Michael Ryan, Leiter des Nothilfeprogramms der Weltgesundheitsorganisation (WHO), gegenüber der Nachrichtenagentur AP am 26. Oktober. Matthias Schmale, der frühere Leiter des UN-Hilfswerks für Palästina (UNRWA), sagte am Mittwoch im Deutschlandfunk: „Aus meiner Sicht sind die Zahlen verlässlich.“[21]

Gaza seit dem 7. Oktober

Zu den laufenden Bombardierungen ist zu vermerken, dass es im Gazastreifen keine Schutzräume gibt und die Menschen das Gebiet aufgrund der israelischen und ägyptischen Abriegelung nicht verlassen können. Letztere ist vermutlich auch damit begründet, dass Israel den Zugang zum Grenzübergang – offenbar als Warnung – zerstörte.[22] Zwar werden offenbar die Hausmeister der zur Bombardierung anstehenden Häuser vorgewarnt, aber das funktioniert zum einen längst nicht immer, zum anderen sind die Fluchtmöglichkeiten minimal.

Auch wenn die Autoren die Einstufung als „Genozid“[23] ablehnen, die massiven Verstöße gegen das Völkerrecht durch die israelische Regierung sind nicht vertretbar. Da die israelische Regierung als Regierung eines demokratischen Landes handelt, ist sie damit konfrontiert, dass an ihr Handeln hohe Ansprüche hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung internationaler Regeln, der Menschenrechte und so weiter gestellt werden.

Abruptes Ende des jahrzehntelangen Friedensprozesses im Nahen Osten

Die zahlreichen arabischen Länder haben zuletzt in deutlicher Mehrheit auf der Seite der Entspannung mit Israel gestanden, einige übergehen dabei den lange unumstößlichen Grundsatz: „Verträge mit Israel nur bei weitgehenden Rechten für Palästina“. Die Schließung der Front gegen den als „wahre Gefahr“ im Nahen Osten gesehenen Iran, die Aussicht auf Waffenlieferung, aber auch bessere Geschäfte mit dem Westen, locken.

Aber seit dem 7. Oktober überlegen auch sie aktuell ihre weitere Politik – oder sie werden von der eignen Bevölkerung massiv zum Überlegen gebracht. Am vergangenen Samstag erklärte Jordaniens König Abdullah II. auf dem „Friedensgipfel“ in Kairo: „Die Botschaft, die die arabische Welt hört, ist laut und klar: Palästinensische Leben zählen weniger als israelische. Unsere Leben zählen weniger als andere Leben. Die Anwendung des internationalen Rechts ist nur eine Option, und Menschenrechte haben Schranken – sie enden an Grenzen, sie enden bei Rassen, sie enden bei Religionen.“[24] Bereits in der vergangenen Woche hatte Ex-NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer gewarnt, der Unmut, der sich in solchen Feststellungen äußere, sei nicht mehr folgenlos. „Wir, der Westen, haben nicht mehr das Sagen und der Globale Süden sagt: ‘Bitte, wir haben auch eine Stimme, die ihr eine gewisse Zeit ignoriert habt‘.“[25]

DIE HALTUNG DER EU UND DEUTSCHLANDS …
oder: wie man sich unglaubwürdig macht

In einem beispiellosen Protestschreiben attackieren rund 850 EU-Mitarbeiter*innen die eigenmächtige Politik von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Krieg im Gazastreifen. Hintergrund ist, wie sich Brüssel nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober zu den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen und zum Abschneiden der Zivilbevölkerung von Nahrung und Wasser verhalten soll. Während eine EU-Mehrheit von Israel die Einhaltung des humanitären Völkerrechts fordert, hatte von der Leyen das zunächst unterlassen und damit faktisch die Position Berlins übernommen. Dazu heißt es in dem Protestschreiben, man sei „besorgt“ über „die scheinbare Gleichgültigkeit“ gegenüber Zivilisten in Gaza: „Die EU riskiert all ihre Glaubwürdigkeit.“ Schon vergangene Woche hatten Diplomat*innen gegenüber der Financial Times geurteilt, der Maßstab, den man gegenüber Russland im Ukraine-Krieg anwende, müsse auch im Gaza-Krieg gelten. Weil dies offenkundig nicht der Fall sei, müsse man jetzt davon ausgehen, dass die Staaten des Globalen Südens „uns nie wieder zuhören“. Schon bei der nächsten UN-Ukraine-Resolution werde man „eine große Explosion in der Zahl der Enthaltungen sehen“.[26]

Parallel spitzt sich in der EU der Streit um die Positionierung gegenüber dem israelischen Vorgehen zu. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Sonntag ihre Haltung, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, erstmals um den Zusatz ergänzt, dies müsse „im Einklang mit dem Völkerrecht“ geschehen.[27] Dass sie das bei einem Besuch in Israel unterlassen hatte, hatte zu heftiger Kritik in Brüssel und in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten geführt. Darüber hinaus hat sie sich inzwischen bereit erklärt, die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen, die die Kommission nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober zunächst komplett einstellen wollte, auszuweiten. Zu weitergehenden Kursänderungen ist sie jedoch ebenso wenig bereit wie die Bundesregierung, deren Position von der Leyen ohne jede Legitimation durch EU-Beschlüsse übernommen hat. Außenministerin Annalena Baerbock lehnte am Montag auf einem Treffen mit ihren EU-Amtskolleg*innen die Forderung nach einer „humanitären Feuerpause“ explizit ab und sprach sich für die Fortsetzung der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen aus.[28] Der Außenbeauftragte Josep Borrell und mehrere Außenminister*innen verlangten hingegen explizit, die Waffen müssten wenigstens eine Zeitlang schweigen, um die Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu garantieren. Die Vereinten Nationen fordern einen Waffenstillstand.

Zuletzt stritt sich die EU-Außenministerkonferenz in Brüssel, ob die Formulierung „Feuerpause“ (von Waffenstillstand wurde zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr gesprochen) im Abschluss-Kommuniqué im Singular oder Plural verwendet werden soll. Der Plural setzte sich durch, also kurze, kleine, für die Versorgung völlig ineffektive „humanitäre Korridore und Pausen für humanitäre Zwecke“. Mehr war mit den Israelunterstützer*innen der EU nicht zu machen.[29] Ob mit der Hamas jedoch überhaupt eine Feuerpause zu erzielen ist, bleibt dahin gestellt. Aktuell (28.10.) sieht es nicht danach aus.

Folgen für die deutsche, für die EU
– und für die westliche Politik

Besonders in den Ländern des Globalen Südens – viele auf Seiten der Palästinenser*innen – wird zum wiederholten Mal registriert, dass Kriegshandlungen, die der Westen bei seinen Gegnern – etwa im Falle Russlands im Ukraine-Krieg – auf das Schärfste kritisiert, beim Vorgehen Israels gegen die Hamas umstandslos toleriert werden. Dies gilt insbesondere für die Angriffe auf zivile Infrastruktur und für das Abschneiden der Zivilbevölkerung von Energie, Nahrung und Wasser. So zitierte die Financial Times einen hochrangigen G7-Diplomaten mit der Warnung: „Wir haben die Schlacht im Globalen Süden definitiv verloren. … Was wir über die Ukraine gesagt haben, muss auch auf Gaza angewandt werden. Sonst verlieren wir all unsere Glaubwürdigkeit. … Die Brasilianer, die Südafrikaner, die Indonesier: Warum sollten sie jemals glauben, was wir über Menschenrechte sagen? … Vergesst das mit den Regeln, vergesst das mit der Weltordnung. Sie werden uns nie wieder zuhören.“[30] Die verlorene Glaubwürdigkeit der Demokratien ist das eine, unmittelbar entscheidend ist, menschlich zu agieren.

Unabdingbare erste Schritte

Die Grenze nach Ägypten ist unverzüglich zu öffnen, die Möglichkeit einer kontrollierten Evakuierung von Kindern, Frauen und Alten über den Seeweg und über Grenzen nach Israel ist schnellstmöglich zu schaffen. Sowohl die nach Ägypten wie auch die nach Israel Evakuierten sind unter UN-Hilfe umgehend zur vorübergehenden Aufnahme in Drittländer zu bringen. Dabei ist ihnen eine Rückkehrgarantie seitens Israels und der arabischen Nachbarstaaten auszusprechen.

Die benötigten Hilfsmittel wie Trinkwasser, Nahrungsmittel, Medikamente und Strom (also auch Diesel für die Generatoren z.B. für die Trinkwassergewinnung) sind umgehend, wie völlig zu Recht von der UN gefordert, in den Gazastreifen zu lassen.

Der einzige Ausweg: Diplomatie JETZT!

Die Vereinigten Staaten drängen Israel unterdessen, die schon lange angekündigte Bodenoffensive im Gazastreifen weiter zu verschieben. Bereits in der vergangenen Woche hatten sich u.a. US-Präsident Joe Biden und der französische Präsident Macron bei Besuchen in Tel Aviv für Mäßigung eingesetzt. Insbesondere wird vor einem israelischen Angriff auf die libanesische Hisbollah gewarnt, der eine zweite Front eröffnen würde, aber auch auf größere Zurückhaltung im Gazastreifen gedrungen, um eine Eskalation des Kriegs zum Flächenbrand zu verhindern. US-Regierungsmitarbeiter ließen sich mit ihrer Einschätzung zitieren, ein Zweifrontenkrieg werde … womöglich auch den Iran involvieren.[31]

Als ersten Schritt muss daher die israelische Regierung überzeugt werden, diplomatische Rahmenbedingungen für Verhandlungen hin zu einem dauerhaften Frieden unter Einhaltungen der UN-Resolutionen zu Palästina anzugehen und von der geplanten Bodenoffensive abgehalten werden. Diese würde das Gegenteil auslösen – einen großen Krieg mit Beteiligung der Hisbollah (und damit des Libanons) und der iranischen Kämpfer in Syrien (und damit vermutlich auch Syrien selbst), im worst case des Iran.

Israel kann nur gewinnen, wenn es seine aktuelle Politik (und die der letzten Jahre) genau in die entgegen gesetzte Richtung wendet: alle Rechte aus den Oslo-Verträgen für die Palästinenser*innen, Verhandlungen zum Ausgleich und zur Entscheidung, Aufbau eines funktionierenden – zusammenarbeitenden – Zweistaatensystems mit Aufbauhilfen aus dem „Westen“ und starken, vernetzten Wirtschaftsbeziehungen untereinander und mit den Nachbarländern, die ja gezeigt haben, dass sie daran Interesse haben. Allerdings zeigen Umfragen in Israel seit langem, dass im jüdischen Teil der Bevölkerung dafür keine Mehrheit vorhanden ist und selbst im arabischen Teil der Bevölkerung die Zustimmung abnimmt.[32]   

Auf lange Sicht müsste dabei mit internationalen UN-Truppen – wohl auch mit deutscher Beteiligung – in den Gebieten Palästinas das Weiterbestehen oder der Neuaufbau von Terrororganisationen verhindert werden.

Gegen die aktuell die Hamas unterstützenden Staaten wie Iran und Katar muss auf politischem und wirtschaftlichem Weg mit deutlicher Härte entgegengetreten werden. Vor allem gegen Katar sind Wirtschaftssanktionen wie gegen Russland unerlässlich. Eine – wie bislang – unterschiedliche Behandlung ist nicht zielführend und daher abzulehnen.

Gaza und das Westjordanland brauchen mit weltweiter Unterstützung einen wirtschaftlichen Entwicklungsplans und einen politischen Neuanfang.

(Unter Verwendung von Textteilen und Quellen von Maria Feckl und Thomas Bauer mit deren Zustimmung.)

Karl-W. Koch

Simon Lissner


[1] https://www.sueddeutsche.de/politik/kfar-aza-hamas-israel-1.6284876

[2] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gazastreifen-todesopfer-zivilisten-liste-hamas-israel-100.html
Eine unabhängige Überprüfung der vollständigen Liste gibt es bislang nicht. Die Veröffentlichung der palästinensischen ID-Nummern der Opfer wird es israelischen Behörden und den Vereinten Nationen im Gazastreifen mittelfristig erlauben, die Liste zu verifizieren. Sie haben ganz oder teilweise Zugriff auf diese Daten und können feststellen, ob die genannten Personen real sind und ob etwa die im Dokument genannten Ausweisnummern weiterhin genutzt werden. Dass systematisch und in großer Zahl fiktive Opfer in die Liste aufgenommen wurden, darauf gibt es bislang keine überprüfbaren Hinweise.“

[3] https://www.tagesschau.de/ausland/hintergrund-hamas-ts-100.html

[4] https://www.nbcnews.com/id/wbna24235665

[5] SZ, 26.10.2024, Feuilleton Seite 10: Yuval Noah Harar – Gewinnt die Hamas diesen Krieg?

[6] https://www.die-tagespost.de/politik/wer-finanziert-die-hamas-art-243573

[7] https://www.derstandard.de/story/3000000191314/umfragen-deuten-gespaltene-meinungen-zur-hamas-in-gaza-an

[8] Weitere Belege sind hier dokumentiert: https://bip-jetzt.de/blog/

[9] https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-charta-der-hamas/

[10] https://www.fr.de/politik/plaene-hamas-israel-ueberraschung-naher-osten-angriff-attacke-massaker-zr-92578134.html

[11] https://www.lbc.co.uk/news/siege-gaza-israel-stops-food-fuel-electricity-blocked-entering-ground-offensive/

[12] https://www.sueddeutsche.de/meinung/hamas-menschen-tiere-menschenwuerde-hass-gaza-1.6287031?reduced=true

[13] https://13tv.co.il/item/news/politics/k6d6k-903737400/

[14] https://x.com/AhmedAbofoul/status/1712876286207533290?s=20

[15] https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-10/mahmud-abbas-palaestina-hamas-israel-fatah/seite-2

[16] https://www.juedische-allgemeine.de/israel/erpressung-durch-den-extremisten/

[17] https://www.israelnetz.com/proteste-gegen-hamas-in-gaza/

[18] As Gaza’s health system disintegrates, WHO calls for safe passage of fuel, supplies for health facilities. emro.who.int 24.10.2023.

[19] Death toll in Gaza from Israeli airstrikes rises to 5,791 Palestinians according to Hamas-run health ministry. theguardian.com 24.10.2023.

[20] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gazastreifen-todesopfer-zivilisten-liste-hamas-israel-100.html

[21] ebenda

[22] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/israel-aegypten-hilfe-lieferung-palaestinenser-gaza-streifen-nahost-konflikt-100.html

[23] https://jewishcurrents.org/a-textbook-case-of-genocide

[24] Vivian Yee, Matina Stevis-Gridneff: Peace Summit in Egypt Shows a Shift in Rhetoric but no Consensus. nytimes.com 21.10.2023.

[25] Henry Foy: Rush by west to back Israel erodes developing countries’ support for Ukraine. ft.com 18.10.2023.

[26] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9385

[27] Hans von der Burchard: Von der Leyen doubles down on pro-Israel stance, lashes out at Iran. politico.eu 22.10.2023.

[28] Thomas Gutschker: Strategisches Händchenhalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.10.2023.

[29] https://www.welt.de/politik/ausland/article248223284/Nahost-Konflikt-EU-Gipfel-ruft-zu-Korridoren-und-Pausen-zu-humanitaeren-Zwecken-im-Gaza-Streifen-auf.html

[30] Henry Foy: Rush by west to back Israel erodes developing countries’ support for Ukraine. ft.com 18.10.2023.

[31] Edward Wong, Ronen Bergman, Julian E. Barnes: Biden and Aides Advise Israel to Avoid Widening War With Hezbollah Strike. nytimes.com 20.10.2023

[32] Zahlen aus 2013 – 2015, heute eher deutlich geringer: https://www.pewresearch.org/religion/2016/03/08/israels-religiously-divided-society/pf_2016-03-08_israel-01-24/

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