Gastbeitrag von Anika Limbach
(zuerst veröffentlicht in „Freitag-Online“: https://www.freitag.de/autoren/anika-limbach/klimabilanz-von-kriegen-wie-hoch-sind-die-globalen-co2-emissionen-des-militaers, hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Freitag und der Autorin)
Air Defender Das Militär hat einen erheblichen Anteil an den globalen CO₂-Emissionen. Konkrete Zahlen existieren jedoch nicht. Zuletzt gab es aber ein paar Studien, mit denen sich die Klimabilanz von Kriegen abschätzen lässt.
Über die Sinnlosigkeit des Air-Defender-Manövers 2023 im deutschen Luftraum ließe sich einiges sagen. Angesichts des Kriegs in der Ukraine und sich verhärtender Fronten, auch zwischen den größten Atommächten, kam dieses Nato-Manöver der Superlative zur Unzeit. Die Deutsche Friedensgesellschaft etwa warnte vor falschen Signalen gegenüber Russland und forderte, das Großmanöver abzusagen. Missverständnisse oder ein falscher Knopfdruck könnten zu einer totalen Eskalation führen. Das Einzige jedoch, was in Deutschland aufstößt, sind Flugverspätungen und Lärmbelästigungen.
Eine wichtige Frage bleibt jedoch gänzlich unbeachtet, nämlich welchen Effekt die 2000 Kampfjeteinsätze für das Klima haben. Als Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken gab die Bundesregierung an, die zwölftägige Luftkriegsübung verursache 35.235 Tonnen CO₂-Äquivalente. Das entspricht den Emissionen einer mittelgroßen Stadt wie Offenbach im gleichen Zeitraum. Nicht mitgezählt wurde die vorbereitende Truppenverlegung von insgesamt 10.000 Soldaten aus 25 Ländern sowie der Anflug nach Deutschland einschließlich der 100 Kampfflugzeuge aus den USA.
Generell ist bei den Klimabilanzen entscheidend, was mit eingerechnet wird und was nicht. Im Nachhaltigkeitsbericht 2022 der Bundeswehr werden die Emissionen der Liegenschaften und der Treibstoffe für die militärische Mobilität zusammengezählt. Die Luftwaffe verursacht dabei knapp 28 Prozent der Gesamtemissionen von 1,7 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente im Jahr 2021.
Eine vollständige Klimabilanz der Bundeswehr sähe dagegen anders aus, denn sie würde die Lieferketten einbeziehen. Ein Eurofighter emittiert in einer Stunde genauso viel wie jährlich eine Person in Deutschland, nämlich 11 Tonnen CO₂. So beeindruckend das klingt – es ist nur ein Bruchteil seiner gesamten Wirkung auf das Klima, da die vorgelagerten Emissionen im Zuge seiner Herstellung und der des verwendeten Materials um einiges höher ausfallen.
Militär von Klimazielen ausgenommen
Derartige Klimabilanzen existieren jedoch nicht. Bei den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll setzte sich die US-Regierung mit der Forderung durch, das Militär von den Klimazielen auszunehmen. Im Prinzip blieb diese Vereinbarung auch 2015 in Paris bestehen, denn ob die Streitkräfte Teil eines Klimakonzepts werden oder nicht, darf jedes Land selbst entscheiden. So muss die Armee in vielen Ländern über ihre Emissionen nicht einmal Rechenschaft ablegen.
Um diesen blinden Fleck auszuleuchten, erarbeitete Dr. Stuart Parkinson, Geschäftsführer der Scientists for Global Responsibility, eine Methode, um das Ausmaß militärischer Treibhausgasemissionen global abschätzen zu können. Für die weltweit größte Armee – die der USA – ermittelte er ca. 340 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente für das Jahr 2017, wobei die Militärbasen und die verwendeten Treibstoffe mit 59 Millionen Tonnen zu Buche schlagen. Für den Löwenanteil sind die entsprechenden Lieferketten der Rüstungsindustrie, die Rohmaterialien sowie die Produktion von Kriegsgeräten und Munition verantwortlich. Damit stößt das US-Militär sechs Prozent der Gesamtemissionen der Vereinigten Staaten aus, so viel wie keine andere Institution weltweit.
Ein ähnlicher Prozentsatz ergab sich im globalen Kontext. Parkinsons Schätzung zufolge gehen 5,5 Prozent der weltweiten Emissionen auf das Militär, auf seine Infrastruktur, Lieferketten, Manöver und Einsätze zurück. Diese Zahl, so betont er in seiner Studie (2022), sei sehr konservativ gerechnet. Ausgespart wurden beispielsweise die Nicht-CO₂-Effekte von Kampfflugeinsätzen – der Treibhauseffekt von Stickoxiden und Flug-Kondensstreifen ist laut Umweltbundesamt zwei- bis fünfmal höher als die alleinige Wirkung des ausgestoßenen CO₂. Auch die indirekten Klimaschäden von Kriegen flossen nicht in die Studie ein. Durch Kampfhandlungen ausgelöste Feuer, Zerstörung von Gebäuden, Infrastruktur, Wäldern, Ökosystemen und der Wiederaufbau verursachen jedoch eine beträchtliche Menge an Treibhausgasen. Bezöge man all dies mit ein, ergäbe sich laut Parkinson eine deutlich höhere Zahl als die 5,5 Prozent.
In einer Rangliste der klimaschädlichsten Länder würde das Militär zumindest auf Platz 4 landen, noch vor Russland. Mit einer vollständigen Klimabilanz einschließlich der Kriegseffekte könnte es wahrscheinlich an Indien vorbei auf Rang 3 rücken, hinter China und den USA.
Ukraine-Krieg verursacht etwa so viel CO₂ wie Belgien
Eine Klimabilanz von Kriegen zu erstellen oder auch nur abzuschätzen, galt bisher als äußerst schwierig. Dass es trotzdem möglich ist, bewiesen der Wissenschaftler Lennard de Klerk und sein Expertenteam im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine. In einer neuen Studie ermittelte de Klerk für das erste Kriegsjahr einen Ausstoß von 119 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente, etwa die gleiche Menge, die Belgien im selben Zeitraum emittierte. 18 Prozent dieser Summe ist auf die Kriegsführung beider Seiten, besonders auf den steigenden Kraftstoffverbrauch zurückzuführen. Kriegsbedingte Feuer und Zerstörung bewaldeter Flächen waren für knapp 15 Prozent der Emissionen verantwortlich. Alle anderen Klimaschäden wurden indirekt hervorgerufen oder liegen in der Zukunft, so wie der Aufbau zerstörter Gebäude und Infrastruktur. Allein dieser Posten schlägt mit 42 Prozent der Emissionen zu Buche – immerhin gehört das Baugewerbe einschließlich der Herstellung von Zement und Stahl zu den CO₂-intensivsten Sektoren.
Ein anderer Effekt betrifft den zivilen Flugverkehr. Wegen der Luftraumsperren müssen Airlines zwischen Europa und Asien eine um Stunden längere Route in Kauf nehmen, was sich auf 10 Prozent der kriegsbedingten Treibhausgase summiert. Auch die von Russland provozierte Energiekrise in Europa bezog de Klerk in die Studie ein. In deren Folge wurde zwar Energie eingespart, effizienter genutzt und der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt, auf der anderen Seite erhöhte sich der Anteil des Kohlestroms, und die europäischen Regierungen – nicht zuletzt die deutsche – kurbelten die Beschaffung von Flüssiggas (LNG) an. Dessen vorgelagerte Emissionen übersteigen die von Pipelinegas um ein Vielfaches. Und so sind es vor allem die erhöhten LNG-Lieferungen, aufgrund derer die klimaschädlichen Effekte auf den Energiemarkt die positiven übertreffen – in Form von 14,6 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten. Das entspricht über 12 Prozent der kriegsbedingten Gesamtemissionen.
Was die Studie nicht enthält, sind Treibhausgase durch die enorme Produktion von Kriegsgeräten und Munition, ein Posten, der in atemberaubender Geschwindigkeit anschwellen dürfte, je länger der Krieg andauert.
Verteidigungshaushalte steigen deutlich
Nach den Schätzungen des Friedensforschungsinstitutes SIPRI erhöhte Russland im Jahr 2022 sein Militärbudget um 9,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Ukraine – und hier sind Daten verfügbar – gab 2022 sogar 44,4 Milliarden Dollar für ihr Militär aus, eine Steigerung um beeindruckende 640 Prozent! Gegenüber 2021 gaben die USA 34 Mal so viel Geld aus, um die Ukraine militärisch zu unterstützen. All das mündet auch in erheblich höheren Emissionen.
Fast jeder Krieg, besonders mit Stellvertreterfunktion, bewirkt eine Aufrüstung auch umliegender und indirekt beteiligter Länder, was sich gerade beispielhaft am Krieg in der Ukraine zeigt. Von den 36 zentral- und westeuropäischen Ländern stockten 23 ihren Verteidigungshaushalt deutlich auf, einige sogar um über 10 Prozent. Die größte Steigerung militärischer Ausgaben in Deutschland liegt noch in der Zukunft, ist aber durch das „Sondervermögen“ für die Bundeswehr beschlossene Sache.
Der überwiegende Teil dieser 100 Milliarden Euro ist für Flugzeuge, Hubschrauber, Kriegsschiffe, U-Boote und Panzer bestimmt, alles schwere Kriegsgeräte, deren Produktion besonders viele Treibhausgase verursachen. Dass im neusten Bericht zur nationalen Sicherheitsstrategie die Reduktion globaler Emissionen als oberstes Ziel genannt wird, während die Emissionen durch die Aufrüstung mit keinem Wort Erwähnung finden, kann man deshalb nur als heuchlerisch bezeichnen.