Die Stationierung von Hyperschallraketen in Ost und West

Bernhard Trautvetter, Klaus Moegling, Karl-Wilhelm Koch

Wenn Sie den On-line-Appell dazu zeichnen wollen: Quelle: https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung

Die Russische Föderation und die VR China besitzen bereits nuklear bestückbare Hyperschallraketen, nun droht eine Stationierung von US-Hyperschallraketen in Deutschland und in Osteuropa.

Die Monatszeitschrift ›le monde diplomatique‹ (01/2024) stellt die Entwicklung von Hyperschallraketen in allen Staaten, die an ihnen arbeiten, in einen brisanten Zusammenhang: 

Die Zunahme internationaler Spannungen, die Kriege unserer Tage, der militärisch-industrielle Komplex in den führenden Staaten des Weltwaffenhandels destabilisieren die Lage der Menschheit:  

Der weltweite Waffenmarkt, der durch die aktuellen Kriege wie elektrisiert ist, profitiert … von der Ausweitung auf neue Geschäftsbereiche…

Auch Hyperschallwaffen, für die sich immer mehr Staaten interessieren, zählen dazu. Hier liefern sich die USA und Russland einen Wettlauf. Weitere Beispiele sind Instrumente für Cyberabwehr und Cyberangriffe, für den ›Informationskrieg‹ und zur Verteidigung von Kommunikationsnetzen.“

Appell gegen Hyperschallraketen in Deutschland und Osteuropa

Angesichts des aktuellen Rüstungswettlaufes hat die Autorengruppe einen Appell gegen die nukleare Aufrüstung und insbesondere gegen die Stationierung von Hyperschallraketen auf den Weg gebracht. Dieser Appell richtet sich zunächst an die politischen Entscheidungsträger in Deutschland. Zugleich aber sind die internationalen Risiken zu nennen, die der Rüstungsboom in allen Staaten in Ost und West für die Menschheit bedeutet.  

Russland z.B. hat laut dem russischen Verteidigungsministerium drei mit Hyperschallraketen bestückte Kampfflugzeuge in der russischen Exklave Kaliningrad, zwischen Litauen und Polen stationiert. Die Flugzeuge des Typs MIG-31i mit “Kinschal“-Raketen seien auf dem Stützpunkt Schkalowsk in Kaliningrad untergebracht worden. Sie bildeten dort eine Kampfeinheit, die “rund um die Uhr einsatzbereit” sei. Die VR China hat bereits 2021 eine nuklear bestückbare Hyperschallrakete im Test einmal um die Erde fliegen lassen – auch wenn sie noch nicht zielgenau genug war.

Die italienische Website NATO-EXIT berichtet im August 2022: Der Stabschef der Armee und die Pentagon Research Agency teilen mit, dass die Vereinigten Staaten bald Hyperschallraketen in Europa stationieren werden, die Russland am nächsten sind (z.B. die baltischen Republiken). Es ist von einem wahrscheinlichen ersten Stützpunkt in Polen oder Rumänien die Rede.

Auch verdichten sich die Anzeichen, dass der Standort Deutschland eine Rolle spielen wird – entweder bei der Stationierung und/oder der Koordinierung der US-Hyperschallwaffen im Falle eines Angriffs.

Da Hyperschallraketen bereits mit etwa 10.000 km/h fliegen können, können sie ihre Ziele, die gegnerischen Hauptstädte, in etwa 5 bis 10 Minuten erreichen.

Russische Hyperschallraketen sind bereits stationiert

Russland baut auch Hyperschallraketen mittlerer Reichweite, aber wenn sie von seinem eigenen Territorium aus abgefeuert werden, kann Washington nicht getroffen werden, da die USA außerhalb der Reichweite liegt.

Russische Hyperschallraketen werden allerdings in der Lage sein, in wenigen Minuten z.B. europäische US-Stützpunkte zu erreichen, vor allem nukleare, wie die Stützpunkte Büchel,  Ghedi und Aviano, und andere Ziele in Europa. Russland setzt wie die USA auch neue Interkontinentalraketen ein. Das russische Verteidigungsministerium hat laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI bereits 2022 erklärt, es plane ab dem betreffenden Jahr Avangard-Raketen einzuführen, inzwischen seien sechs ‚Einheiten‘ an die Armee ausgeliefert.

Schon die russischen Hyperschallraketen innerhalb Europas steigern die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen in unverantwortlicher Weise und müssen wieder wie einst die SS 20 und die Pershing II abgebaut und entsorgt werden. Die Vorwarnzeit ist bei manövrierfähigen und tieffliegenden Hyperschallraketen extrem kurz. Sie sind daher äußerst schwierig rechtzeitig zu entdecken. Aus diesem Grund ist eine Beurteilung durch Regierungschefs oder Sicherheitsstäbe zeitlich nicht mehr möglich. Es ist davon auszugehen, dass künstliche Intelligenz in Entscheidungsprozessen für militärische Reaktionen (Abschuss angreifender Raketen, Zweitschlag) auf einen Alarm, egal ob Fehlalarm oder nicht, genutzt werden wird.

Hyperschallraketen, Nukleare Abschreckung und KI

Durch den Wegfall fast jeder Vorwarnzeit durch die Flugzeit und Variabilität der Flugrichtung von Hyperschall-Mittelstreckenraketen und bei einer sich gleichzeitig beschleunigt entwickelnden KI wachsen hierbei die Gefahren eines Nuklearkriegs aus Versehen. Automatismen sorgen möglicherweise bei Fehlinformationen des KI gesteuerten Systems zu einem politisch ungewollten nuklearen Gegenschlag. Die sich daraus ergebende nukleare Kettenreaktion würde unseren Planeten verwüsten und auf Jahrhunderte unbewohnbar machen.

Auch unter der Annahme, dass eine nukleare Abschreckung nützlich und wichtig sei,  ist die jetzt geplante Aufrüstung keine Verbesserung der nuklearen Abschreckung, sondern sie erhöht nur die Risiken einer nuklearen Eskalation. Denn für eine nukleare Abschreckung reichen wenige Atomwaffen. Staaten wie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel verfügen auch bereits über eine hinreichende nukleare Abschreckung. Des Weiteren schützt eine nukleare Abschreckung nicht vor einem Atomkrieg aus Versehen, der wegen kürzerer Vorwarnzeiten wahrscheinlicher wird, und nukleare Abschreckung schützt auch nicht vor neuen Risiken wie sie von KI ausgehen können. Der KI-Forscher Prof. Dr. Karl Hans Bläsius warnt in diesem Zusammenhang im Dezember 2023: „Hierbei könnten mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz Cyberangriffstechniken realisiert werden, die bisher völlig unbekannt sind, weswegen als Vorbeugung auch keine Schutzmaßnahmen realisierbar sind.

Für umfassende Abrüstungs- und Kontrollverträge

Wir wenden uns daher gegen jegliche Angriffssysteme, welche die Menschheit bedrohen, die Zivilisten gefährden und die ökologischen, sozialen und humanen Ziele der UNO untergraben. Mit J.F. Kennedy (1961) gilt: „Die Kriegswaffen müssen abgeschafft werden, bevor sie uns abschaffen.” Europa wäre der erste und der letzte Schauplatz eines finalen Krieges, der mit den russischen und Nato-Hyperschall-Raketen ausgelöst werden kann. Das zu verhindern ist letztlich das Ziel des gemeinsamen Appells. Hierbei gilt es über transnationale Bemühungen und ein internationales, transparentes Vorgehen, zunächst den von den USA aufgekündigten und von der Russischen Föderation ausgesetzten INF-Vertrag wieder zu aktivieren und dabei auch die VR China sowie möglichst auch die anderen Atommächte einzubeziehen. Mit dem INF-Vertrag (Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen – die USA haben diesen Vertag mit Nato-Unterstützung 2019 aufgekündigt) wäre dann die völkerrechtliche Grundlage für die beteiligten Staaten zum Abbau der existierenden Hyperschallraketen bzw. für die Nicht-Installierung der vorgesehenen Angriffssysteme gegeben. Letztendlich müssen aber die unterschiedlichen Möglichkeiten aggressiver Handlungsweisen, von Hyperschallraketen, Interkontinentalraketen, Cyber-Angriffen, autonomen Waffensystemen bis hin zu KI gelenkte Desinformation in Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge einbezogen werden.

Es wird erhebliche Widerstände gegen ein derartiges friedenspolitisches Anliegen geben. Doch angesichts der drohenden Risiken müssen diese Forderungen in aller Deutlichkeit erhoben werden. Die verantwortlichen Politiker, die derzeit ein präventives Engagement verweigern, sind hiermit wirkungsvoll zu konfrontieren. Insbesondere der Zusammenhang zwischen KI-Steuerung und immer schwieriger zu berechnenden angreifenden Waffensystemen lässt keine Zeit des Wartens mehr zu.

Da Arsenale für den Atomkrieg die Sicherheit des Lebens untergraben, bedarf es einer Friedenspolitik  der Kooperation und gegenseitigen – also gemeinsamen – Sicherheit, wie sie  die OSZE-Sicherheitscharta von 1999 verlangt: „Wir müssen Vertrauen zwischen den Menschen innerhalb der Staaten schaffen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten vertiefen. … Wir werden uns noch mehr als bisher bemühen, für die volle Einhaltung der

Menschenrechte und Grundfreiheiten …  zu sorgen. Gleichzeitig werden wir verstärkte Anstrengungen unternehmen, um mehr Vertrauen und Sicherheit zwischen den Staaten zu schaffen. Wir sind entschlossen, die uns zur Verfügung stehenden Mittel zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen ihnen weiterzuentwickeln.“ Das ist die einzig zu verantwortende Alternative zur Steigerung der Spannungen zwischen den Völkern und Staaten der Welt.11

Zu den Autoren:

Bernhard Trautvetter, Studiendirektor a.D., Friedens- und Umweltaktivist, Publizist, Essener Friedensforum, Bundesausschuss Friedensratschlag.

Klaus Moegling, Prof. Dr. i.R., Politikwissenschaftler und Soziologe, Autor u.a. von ‚Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich.‘ Aktualisierte frei lesbare 4. Auflage (9/2023).

Karl-W. Koch, Dipl. Ing. (FH. chem.) Gymnasiallehrer in den Fächern Chemie, Mathematik und Umwelttechnologie sowie Fachbuchautor („Störfall Atomkraft“). Er ist Gründer des AK Atom bei B90/Die Grünen.


Die Presseerklärung dazu (u.a. bei Telepolis):

Karl-Wilhelm Koch – kwkoch@posteo.net

Klaus Moegling –klaus@moegling.de

Bernhard Trautvetter – btrau@web.de

Karl Hans Blaesius – karlhans@blaesius.net  

Presseerklärung

Bündnispolitischer Erfolg für den Appell gegen die atomare Bedrohung

Der Online-Appell gegen Arsenale für den Atomkrieg*  hat innerhalb eines Monats über 6000 Unterstützer-Unterschriften erhalten. In Zeiten besonderer Höhepunkte der Friedensbewegung, wie beispielsweise anlässlich der kommenden Sicherheitskonferenz und der Ostermärsche, kann dieser Appell zusätzliche Bedeutung erlangen. Er spiegelt auch bündnispolitisch die Breite der Friedensbewegung wider.

Die Liste der Erstunterzeichner/innen umfasst Persönlichkeiten wie Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, Michael Müller sowie viele engagierte Mitglieder der bundesweiten Friedensbewegung. Führende Kräfte der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) und Wissenschaftler wie Prof. Dr. Peter Brandt, Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, Prof. Dr. Klaus Moegling und Prof. Dr. Hajo Funke gehören zu den Unterstützern. Friedenspolitisch aktive Kritikerinnen und Kritiker aus grünen, religiösen, linken, sozialdemokratischen Kreisen tragen ebenso zur Vielfalt bei.

Sie warnen vor der Gefahr eines unbeabsichtigten Atomkriegs, dessen Risiko durch Hyperschallraketen massiv zunimmt. Diese Raketen führen zu einem praktischen Wegfall der Vorwarnzeit, insbesondere im Falle eines Atomalarms auf den Radarschirmen der Armeeaufklärung. Offensivsysteme dieser Art entwickeln derzeit neben Russland, das solche Systeme bei Kaliningrad stehen hat, und den USA auch China, Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland.

Nach ihrer Stationierung besteht die Möglichkeit, dass die gegnerische Radar-Aufklärung keine ausreichende Zeit mehr hat, einen Alarm zu überprüfen. Innerhalb von Minuten können diese Enthauptungsschlagwaffen ihr Ziel erreichen. Die Friedensbewegung warnt davor, diese Waffen aufzustellen, da sie Europa und die Welt gefährlich nah an den Abgrund bringen. Ein Zitat aus dem Appell-Text lautet: „Niemand hat das Recht, das völlig unkalkulierbare Risiko des Atomkrieges jemals einzugehen. Schon konventionell bestückte US-Hyperschallraketen auf europäischem Boden steigern im Spannungsfall aufgrund ihrer Fähigkeit, gegnerische Führungszentralen mit einem Enthauptungsschlag auszuschalten, die Eskalationsgefahr im Vorfeld eines Atomkrieges.“

Unterstützer/innen begründen ihre Unterschrift auf der Website u.a. mit diesen Worten: „Modernere oder neue Waffen haben noch nie in der Geschichte der Menschheit einen Krieg verhindert …“ und: „… das Risiko des Einsatzes von Kernwaffen (ist) zu hoch … Wir brauchen endlich Frieden in der Welt.“

*Quelle: https://www.change.org/p/gegen-die-atomare-bedrohung

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