Beim Gipfel der 31 NATO-Mitgliedsländer in der litauischen Hauptstadt Vilnius kündigten die USA an, Streumunition an die Ukraine zu liefern.[1] Diese Waffen, die vor dem Einschlag viele kleine Munitionsteile großflächig in die Umgebung schleudern, sind international geächtet. Den entsprechenden völkerrechtlich verbindlichen Vertrag haben neben Deutschland mehr als 120 Staaten unterzeichnet.[2]
Durch den Einsatz von Streumunition sterben besonders viele Zivilist*innen. Das findet sogar noch viele Jahre nach Kriegsende statt, weil ein Teil der Munition nicht gleich zündet und im Boden verbleibt. Die verheerenden Folgen des Einsatzes für die Zivilbevölkerung sind vielfach dokumentiert.[3] So wurden allein in Laos nach Schätzungen des Internationalen Roten Kreuzes 10.000 Menschen durch zurückgelassene US-Streumunition aus den 60er und 70er Jahren verletzt oder getötet. Nicht explodierte Sprengkörper aus Streumunition, die die USA vor Jahrzehnten in Vietnam, Laos und Kambodscha und später im Irakkrieg eingesetzt haben, fordern jährlich Hunderte Todes- und Verstümmelungsopfer unter der Zivilbevölkerung der betroffenen Länder.[4] US-Streumunition kam in den letzten 20 Jahren in vielen Ländern zum Einsatz, so im Irak, in Libyen und Afghanistan oder durch Saudi-Arabien im Jemen. Humanitäre Hilfsorganisationen rechnen mit bis zu weiteren 50 Jahren bis zur vollständigen Räumung dieser Munition.[5]
Laut Menschenrechtsorganisationen sind Kinder häufig Opfer von Verletzungen durch Streumunition – denn die kleinen Bomben ähneln Spielzeug.[6] Auch in Deutschland liegen Streumunitions-Blindgänger in einem gesicherten ehemaligen Truppenübungsgebiet in Brandenburg.[7] Obwohl Streumunition international geächtet ist, dürfen deutsche Finanzinstitute noch immer in diese heimtückischen Waffen investieren.[8]
Zu den mehr als 120 Ländern, die Streumunition geächtet haben, gehört, wie erwähnt, auch Deutschland. Als völkerrechtlicher Vertrag verbietet das Übereinkommen über Streumunition (sog. „Oslo-Übereinkommen“) seit 2010 den Einsatz, die Entwicklung, die Herstellung, den Erwerb, die Lagerung, die Weitergabe und die Unterstützung beim Einsatz von Streumunition.[9]
Die USA, Russland und die Ukraine haben den Vertrag nicht unterzeichnet und haben schon Streumunition eingesetzt. Nach Artikel 21 Absatz 2 des Oslo-Übereinkommens soll sich jeder Vertragsstaat nach besten Kräften bemühen, Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens sind, vom Einsatz von Streumunition abzubringen.
Dafür tragen wir eine besondere historische Verantwortung: In Konsequenz aus der Zerschlagung des deutschen Faschismus und als Ergebnis der systemübergreifenden Kooperation zur Beendigung des Eroberungs- und Vernichtungskriegs der deutschen Wehrmacht wurden nach 1945 internationale Übereinkommen getroffen, die die friedliche Kooperation zwischen den Völkern zum unbedingten Ziel erklärten. Diese Orientierung, gefasst in der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, fand auch Eingang in die deutsche Verfassung. Darin sind alle „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“ als verfassungswidrig gekennzeichnet und die deutsche Bevölkerung wird in die Pflicht genommen, dem Frieden in der Welt zu dienen.[10]
Haben unsere verantwortlichen Regierungsmitglieder Einspruch gegen den Einsatz von Streumunition im Ukraine-Krieg durch Russland und die Ukraine erhoben?[11] Versucht die Bundesregierung, die USA von der Lieferung abzubringen? Antworten blieben die Regierungsvertreter*innen bei der Bundespressekonferenz am 10. Juli 2023 schuldig.[12] Der Bundespräsident dagegen fordert öffentlich sogar Verständnis: „Deutschland dürfe in der gegenwärtigen Situation der USA nicht in den Arm fallen“ – ein klarer Verstoß gegen seine Aufgabe, die Einhaltung der von Deutschland unterzeichneten völkerrechtlichen Verträge durchzusetzen.[13]
Während aus Spanien und Großbritannien Kritik kommt, versucht die Bundesregierung, die Lieferentscheidung der USA zu rechtfertigen.[14] Diese Doppelmoral ist ein klarer Verstoß gegen das Oslo-Abkommen.
Wir fordern umgehend eine Stellungnahme der grünen Außenministerin sowie eine diplomatische Initiative ihres Hauses gegenüber dem US-Außenministerium und der NATO! Und wir fordern, dass der von Deutschland unterzeichnete Vertrag auch von Deutschland eingehalten wird. Der Einsatz von Streumunition lässt sich nicht moralisch rechtfertigen, auch nicht mit russischen Kriegsverbrechen. Der Einsatz von Streumunition ist immer zu ächten, egal, wer sie aus welchen „moralischen“ Gründen meint, sie einsetzen zu müssen. Streumunition vertritt keine Werte. Streumunition tötet. Sie tötet über Jahrzehnte. Das Land, die Tiere, die Menschen. Einfach Alles.
Künftige und bisherige Waffenlieferungen müssen im Rahmen von Artikel 51 der UN-Charta daraufhin überprüft werden, ob damit Streumunition eingesetzt werden kann; dazu zählt die Lieferung von Abschussvorrichtungen oder Trägersystemen, wie Panzerhaubitzen. Ist dies der Fall, so sind derartige Einsätze bilateral mit der ukrainischen Regierung auszuschließen.
Die Doppelmoral aller Erklärungen unserer führenden Politiker*innen – in Deutschland und in einigen der Nato-Staaten – zeigt sich darin, wie schnell wir von völkerrechtlich verbindlichen Verträgen abrücken, wenn es auch nur den Hauch eines kleinen Vorteils gibt. Im Kampf gegen ein verbrecherisches autokratisches System scheint alles erlaubt zu sein, was gerade die westlichen „Musterdemokratien“ sonst anderen verbieten. Wie soll das auch nur einem Menschen im Ausland, in der Ukraine, in Brasilien, in Südafrika, in Russland, – und auch in Deutschland – glaubwürdig vermittelt werden?
Frieden ist die Grundlage jeder demokratischen und humanen Entwicklung; deshalb muss sich die Außenministerin fortan im Einklang mit der jüngsten Abschlusserklärung[15] des EU-CELAC-Gipfels für einen sofortigen Waffenstillstand und internationale Friedensverhandlungen unter der Führung der UN und seines Generalsekretärs António Guterres einsetzen!
Unabhängige Grüne Linke (UGL) & Grüne Alternative e. V.
www.gruene-linke.de www.gruenealternative.de
V.i.S.d.P.: Klemens Griesehop
[1] Vgl. https://www.rnd.de/politik/faq-was-ist-streumunition-und-warum-ist-sie-so-umstritten-RHFTH3UE5ND6JE36YPUMEOD4UA.html
[2] https://genf.diplo.de/genf-de/botschaft/abruestung-ccm/1989628
[3] https://www.hrw.org/de/news/2018/08/30/streumunition-vertragsstaaten-halten-sich-verbot
[4] https://www.handicap-international.de/de/streubomben/verbotsvertrag
[5] https://taz.de/Streubombenlieferungen-an-die-Ukraine/!5943312/
[6] https://www.streubomben.de/streubomben/geschichten-von-ueberlebenden/
[7] https://www.streubomben.de/streubomben/deutschland/
[8] https://www.handicap-international.de/de/neuigkeiten/gesetz-gegen-investitionen-in-hersteller-von-streumunition-ist-uberfallig
[9] https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/sicherheitspolitik/abruestung-ruestungskontrolle/uebersicht-konvalles-node/streumunition-node
[10] GG Art. 26, Präambel
[11] https://www.hrw.org/news/2023/05/29/cluster-munition-use-russia-ukraine-war
[12] https://www.youtube.com/watch?v=7jv6rJ69qbw
[13] https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/bundespraesident-steinmeier-ukraine-usa-streumunition-100.html
[14] https://www.rnd.de/politik/us-streumunition-fuer-die-ukraine-bundesregierung-zeigt-verstaendnis-fuer-lieferung-W64BZNDBTVIGBOZU7QVHLVK6PQ.html
[15] https://www.consilium.europa.eu/de/meetings/international-summit/2023/07/17-18/