Abschiebung von „nichtdeutschen“ Straftäter:innen nach irgendwo?

Olaf Ice, 14.6.2024

Derzeit erleben wir in kontinuierender Wiederauflage eine typisch-dummdeutsche Debatte. Während Teile der Ampel jede Karotte verzehren, die ihnen von substanzlos-hysterischen „Law `n Order“ Schreihälsen hingehalten wird, vermeidet es selbst unser sogenannter Qualitätsjournalismus, sich sachlich mit der Frage auseinander zusetzen, ob die Forderung von solchen Ausweisungen überhaupt Sinn macht. Aus der Sicht der Opfer und der Ahndung einer Strafe im aktuell diskutierten Fall, ist das jedenfalls offensichtlich nicht sinnvoll. Selten gebrauche ich das Wort „offensichtlich“, hier ist es angebracht.

Der aktuelle Fall des „Messerstechers von Mannheim“ ist dabei ungewöhnlich, weil er aus Sicht der „Resozialisation“ eines (hier ja recht jungen Täters), zynischerweise allen Anlass gäbe, anzunehmen, dass er im vorgesehenen Abschiebeland (Afghanistan) als „Held“ sehr schnell „resozialisiert“ werden würde. Vermutlich würde dieser „Held“ bald wieder in einem ausgesuchten Land auftauchen …
Frage an die populistisch-rassistischen Dumpfbacken, welche die Abschiebung dieses Straftäters fordern: Als junger, verheirateter Vater zweier Kinder[1], wie er beschrieben wird, würde „man“, die Familienangehörigen aus „humanitären Gründen“ gleich mit abschieben wollen?

Kurz zur Vorgeschichte:
In Mannheim treibt seit gut zwei Jahren ein Kerl sein Wesen, öffentlich auf dem Marktplatz, der von der Tagesschau (s. Anm. 1) neutral-beschönigend, als Redner der „… islamkritischen Bewegung Pax Europa (BPE)“ bezeichnet wird, provokativ mit Hass- und Hetzreden. Über diesen Verein verlautbart z.B. aus der bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus: „Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Stürzenberger sowie der bayerische BPE-Landesverband verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen verfolgen, die auf eine Abschaffung der Religionsfreiheit für Muslime gerichtet sind“.[2] Um da keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Der Polizeibeamte ist in Ausübung seiner Pflicht, hier Schutz eines Hetzredners, tödlich verletzt worden. Da ist nichts zu beschönigen, auch wenn offen bleibt, ob der Kollege überhaupt ein Angriffsziel war. Vermutlich nicht. Es wirft aber Fragen auf, weshalb es so weit kommen konnte, dass die Behörden öffentliche Beschimpfungen von 48,5%[3] der Mannheimer zuließen?
Der Kerl, also Michael Stürzenberger[4], Vorsitzender des Vereins, ist weit über Mannheim hinaus bekannt. Stürzenberger war bei dem Angriff verletzt worden. Um auch hier keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen: Selbstjustiz, und das ist das, was als Motiv des Täters in Frage kommt, geht gar nicht. Ob tatsächlich ein darüber hinaus gehender „islamistischer Hintergrund“ vorliegt, war zur Stunde nicht zu klären. Der Täter war angeschossen worden und nicht vernehmungsfähig.

Als Teil der Vorgeschichte sei noch das Pofil des Täters erwähnt. Die NZZ[5] vom 4.6. trägt dazu unterschiedliche Darstellungen deutscher Medien zusammen. Die „Bild“ wird in ihrer unnachahmlichen Art zitiert: „Eher gegen eine gelungene Integration spricht, dass A. offenbar keiner Arbeit nachging und Sozialhilfe bezogen haben soll, wie die «Bild»-Zeitung berichtet. Allem Anschein nach war er zudem sehr empfänglich für die Ideologie des radikalen Islam. Laut Medienberichten soll er sich vor gut einem Jahr, möglicherweise auch schon deutlich früher, zum Islamisten gewandelt haben. Videos von der Tat in Mannheim zeigen ihn mit einem langen Vollbart, wie er im islamistischen Milieu gern getragen wird.“ Jaja. Hätte, vielleicht, könnte sein … Laber, Laber.

Aber, vermutlich der „Ausgewogenheit“ geschuldet, zitiert die NZZ auch die Berliner Morgenpost: „Sulaiman A. habe sich «vorbildlich in Deutschland integriert», schreibt die «Berliner Morgenpost». In weiteren deutschen Medien klingt es ähnlich. Diese Aussage lässt sich aber nur teilweise belegen. Eher für eine gelungene Integration spricht, dass A. als Jugendlicher in einem hessischen Sportverein den koreanischen Kampfsport Taekwondo trainierte und erfolgreich an Wettkämpfen teilnahm. Ausserdem soll er im Jahr 2017 einen erweiterten Hauptschulabschluss erlangt und Deutschkurse absolviert haben. Im Jahr 2019 hat er, laut dem «Spiegel», eine aus der Türkei stammende Deutsche geheiratet, mit der er zwei kleine Kinder haben soll.“

Warum erwähne ich das in der Vorgeschichte? Weil es schon erstaunlich ist, wie unterschiedlich die Wahrnehmung und Berichterstattung subkutan Rassismus transportiert. So werden bei Täter:innen aus dem Nazi-Millieu in steter Kontinuität „Nachbarn“ des/der Täterin vorgeführt, die erklären, dass „man sich die Tat von XYZ gar nicht habe vorstellen können, so nett, freundlich, hilfsbereit …“ und was zur positiven Täter-Beschreibung noch so einfällt.

Doch, kommen wir zum eigentlichen Thema zurück.

Werden Deutsche nach Straftaten nach Deutschland abgeschoben?

Möglich, dass zu dieser Frage einmal eine aktuelle Anfrage im Bundestag gestellt wird? Ich fand dazu eine Statistik, Stand März 2022.[6]  Da wird von einer Antwort 20/2543 auf eine Kleine Anfrage der AfD (ja ich weiß …, aber da hat sich diese Nazi-Partei vermutlich ins Knie geschossen) berichtet, dass von „… (der) Bundesregierung 1.566 deutsche Staatsangehörige im Ausland inhaftiert …, … auf (deren) Wunsch von den deutschen Auslandsvertretungen konsularisch betreut werden. (…). Die meisten Häftlinge würden in Spanien (154), den Vereinigten Staaten von Amerika (145), der Türkei (83), der Schweiz (69), Frankreich (62), Polen (57), Italien (49), Großbritannien (44), Ungarn (39), der Russischen Föderation (37) und Indonesien (31) konsularisch betreut.“

Hat sich was mit „Abschiebung von Straftäter:innen“ – weltweit. Wer in einem Land eine Straftat begeht, wird dort seiner Strafe zugeführt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang der Fall Jens Söring[7]. Söring wurde wegen der Ermordung seiner Eltern und seiner damaligen Freundin im Jahr 1985, vom US-Bundestaat Virginia verurteilt (1990). Söring wurde in London festgenommen – und wohin abgeschoben? Nein, nicht nach Deutschland – weil der Täter Deutscher? Mitnichten. Nach einer Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wurde Söring vom Vereinigten Königreich in die USA überstellt. Dies unter der Zusicherung, dass ein Todesurteil nicht ausgesprochen werde (die USA halten an dieser Barbarei in einigen Bundestaaten fest). Dort saß Sören bis Dezember 2019. Der US-Bundestaat wollte durch die Abschiebung „lebenslängliche“ Kosten sparen. Eine Begnadigung seitens der USA war das ausdrücklich nicht. Nun, in Deutschland angekommen, wohnt Sören in Deutschland, Hamburg, aber nicht in Fuhlsbüttel, bekannt über den Boulevard, Funk und Fernsehen und genießt seine Tantiemen. Wer sich für interessiert, mag sich tiefer in den Fall begeben.

Weiterer, prominenter Fall ist der des Tennisstars Boris Becker (zurzeit öfter als Werbetreibender für einen Fensterhersteller tätig). Die Tat war eine andere, kein Mord, aber bei Steuerhinterziehung werden Finanzbehörden dann halt doch mal patzig. Becker verbüßte eine siebenmonatige Haftstrafe im Vereinigten Königreich.

Wir stellen also fest. Erst da einsitzen, wo die Straftat begangen wurde, dann schauen wir mal weiter.

Die Bundesregierung und konsularischen Vertretungen werden dann in besonderem Maße tätig, wenn in einem Land die Todesstrafe gegen deutsche Täter verhängt wird, um die Todesstrafe abzuwenden. So geschehen im Fall der Brüder LaGrand.[8] Die Klage der Bundesrepublik Deutschland gegen die Vereinigten Staaten von Amerika scheiterte. Die beiden wurden in Virginia 1999 hingerichtet. In anderen Fällen war die Bundesrepublik erfolgreicher.[9]

Was können wir daraus ableiten? Die Abschiebung/Überstellung von Straftäter:innen aus einem Land in dem die Tat begangen wurde in den Herkunftsort des Straftäters, findet in besonderen Fällen statt, aber meistens eben nicht. Sie setzt außerdem voraus, dass ein Teil der Haft in dem Land, in welchem die Tat begangen, abgesessen wurde. Wie hier jemand auf die Idee kommen kann, in unserem Fall, einen Straftäter, seit 11 Jahren in Deutschland lebenden, als Bub eingewanderter Afghanen, ausgerechnet in ein Land, das die Todesstrafe extensiv anwendet, abzuschieben – da fragt sich dann doch, was man dem Kanzler, der das zu unterstützen scheint, in den Tee getan hat.[10] Deutschland setzt sich, auch bei schwersten, von Deutschen begangenen Verbrechen, für die Verbringung nach Deutschland ein, wenn die Todesstrafe droht. Findet den Fehler …

Was können wir noch daraus ableiten?
Übernahme eines Täters/einer Täterin wird eher vom Herkunftsland aus unterschiedlichen Gründen (siehe oben, grundsätzliche Gegnerschaft zur Todes“strafe“, nicht anerkanntes rechtsstaatliches Verfahren o.ä.) gefordert, als die Abschiebung durch das Land in dem die Tat begangen wurde, betrieben.
Dr. jur. Ercan Yasar LL.M.[11] schreibt dazu: „Wie in jedem anderen Land, wird man in der Türkei auch nicht ausschließlich wegen inländischer Tatbegehungen vor Strafgericht gebracht. Die Auslandstaten dürfen auch in der Türkei verurteilt und mit Gefängnisstrafe belegt werden (Weltrechtsgrundsatz; Schutzrecht; aktives und passives Personalitätsprinzip).“ Und weiter: „In (den) meisten Fällen wird die Bestrafung auch in dem Land, in dem die Täter festgenommen worden sind, vollstreckt. Jedoch dürfen die Gefangenen eine Verschiebung der Vollstreckung in ein anderes Land verlangen. Denn mit der Strafe wird lediglich der Täter bestraft. Aber während der Verbüßung leiden die Familienmitglieder der Häftlinge unter deren Festnahme. Daher haben die Familienmitglieder auch ein Interesse daran, die Häftlinge in Anstalten in ihrer Nähe zu bringen.“

Das ist der einzige, und humanitäre Grund für eine Abschiebung, gültig auch in Deutschland, und der kommt bei dem bevorzugt diskutierten Abschiebe-Land Afghanistan wohl gar nicht in Frage. Was hat ein in Deutschland aufgewachsener Junge, als Erwachsener noch mit Afghanistan zu tun? Da ist doch eher die Frage, was läuft in Deutschland schief, wenn das in einer solchen Tragödie endet. Und völlig absurd wird die Frage, wenn es darum geht, den Täter in ein „anderes“, als das Herkunftsland abzuschieben. Wer soll sich denn dazu hergeben?


[1] Tagesschau v. 2.6.

[2] T-online, 4.6.

[3] Mannheim, Migrationshintergrund 31.12.2023

[4] Siehe dazu „Stern“ v. 31.5.24

[5] Neue Züricher (NZZ v. 4.6.24)

[6] DPT, Deutscher Präventionstag, 23.7.2022

[7] Wikipedia, Jens Söring

[8] Fall LaGrand

[9] Siehe dazu jstor.org, Dr. Hermann Christoph Kühn, Augsburg „Schutz vor Todesstrafe im Ausland“.

[10] SWR Aktuell v. 6.6.24

[11] Anwalt.de: „Rest der Haft in Deutschland verbüßen – Gefangenabschiebung von der Türkei nach Deutschland“

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