Detlef zum Winkel, im Mai 2025
Künstliche Intelligenz (Kl) verbraucht große Mengen Energie, die aus Kernkraft gewonnen werden sollen.
Um KI zu verstehen, wagen wir einen kleinen Ausflug und erinnern uns an die Revolution. Nachdem diese im letzten Jahrtausend gründlich gescheitert war, dachten viele Menschen mit Wehmut an sie zurück. Ach, wie schön war doch der Traum von Freiheit, Gleichheit und Liebe im Untergrund, wie tapfer und selbstlos seine Aktivisten und wie romantisch ihr Leben, wenn auch nur zeitweise. Die nostalgischen Gefühle wurden von ergreifenden Filmen und Romanen bedient. Irgendwie war es tröstlich, wenn sich rote Fahnen, rote Mützen und rotes Blut als Kassenschlager bewährten. So kam die Revolution zurück, ohne auf Widerstand zu treffen.
Neue Produkte, auch alte mit neuem Outfit, verkauften sich besser, wenn sie als revolutionär beworben wurden. Eine Mode, ein Design, ein Haushaltsgerät, ein Motor, ein Waschmittel und vor allem jeder neue Computer und jedes neue Smartphone waren plötzlich eine Revolution. Noch besser: Konterrevolutionen, welche den alten Revolutionen den Garaus gemacht hatten, blieben aus. Die gab es gar nicht mehr, weil die Unterscheidung einer Revolution von ihrem Gegenteil belanglos geworden ist.
Ähnlich verhält es sich mit der Intelligenz. Nahezu gesetzmäßig versagt sie vor jeder epochalen Herausforderung, aber auch im Arbeitsalltag, in der Freizeitgestaltung, in der Schule und im abendlichen Fernsehprogramm, von den digitalen Netzwerken ganz zu schweigen. Und doch sehnen sich die Menschen danach. Die Intellektuellen mögen sie nicht, überwiegend jedenfalls, aber ein bisschen Intelligenz möchte man doch gern besitzen, am besten ein bisschen mehr als die Kollegen, Nachbarn oder Partner. Gern bedient der Kapitalismus dieses Bedürfnis in Form von intelligenten Produkten, intelligenten Maschinen und intelligenten Geldanlagen. Jetzt auch mit KI, dem Oberbegriff für eine digitale Produktpalette. Schlagartig fällt die Parallele zur Revolution ins Auge: Das Gegenteil kommt gar nicht vor. Künstliche Dummheit ist nicht bekannt, also auch die Dialektik nicht. Das ist schlecht fürs Denken.
Künstliche Intelligenz ist ein Produkt der Marktwirtschaft, das sich verkaufen muss. Wenn es keine Nachfrage gibt, wird das Interesse daran erlöschen. Weitgehend unterliegt auch die menschliche Intelligenz diesem Zwang, ein Dilemma, welches durch hehre Absichten und guten Willen leider nicht zu beseitigen ist. Und doch gibt es eklatante Unterschiede. Ein kleines, aber lehrreiches Beispiel gibt die Physikerin Sabine Hossenfelder ab, die einer überschaubaren YouTube-Gemeinde wissenschaftliche Einblicke gewährt. In einem Interview wurde sie gefragt, wie der Arbeitsalltag einer theoretischen Physikerin aussieht. Sie antwortete, dass sie hauptsächlich Kaffee trinkt, in ihrer Wohnung umhergeht und nachdenkt. Das wird niemanden überraschen, aber halten wir dennoch fest: Kalorien werden hier äußerst sparsam eingesetzt, Rohstoffe geschont und die Umwelt wird kaum belastet.
Nun lassen wir eine Kl-Anwendung die Aufgaben von Frau Hossenfelder erledigen. Ob das Resultat irgendeinen Nutzen brächte, sei an dieser Stelle nicht weiter untersucht. Doch die Rechenleistung, die dabei aufgewendet werden müsste, wäre immens. Die KI würde gigantische Wissensdatenbanken nach passenden Aussagen durchsuchen, daraus mögliche Antworten destillieren, diese auf ihre Plausibilität überprüfen und schließlich ein Resultat präsentieren, dass Frau Hossenfelder nicht einmal zu einer weiteren Tasse Kaffee animiert. Sondern nur zu einem grimmigen Lächeln.
Bessere Erfolge kann die KI dort vorweisen, wo es eine praxisnahe Nachfrage gibt: automatische Steuerungen für Waffensysteme, Drohnen, Marschflugkörper, Mehrfachsprengköpfe. Die gleiche Navigationsintelligenz kommt auch bei Fahrhilfen und beim autonomen Fahren zum Einsatz. Weitere Anwendungsgebiete sind maschinelle Übersetzungen, Texterfassung und -produktion, Börsenprogramme, Mustererkennung (Handschriften, Sprache, Gesichter), Experten- bzw. Auskunftssysteme, medizinische Diagnosehilfen, Lernhilfen, Robotik, personifizierte Werbung, Spiele. Da findet sich vieles, was Unternehmen, private wie öffentliche, gerne hätten und sei es nur deshalb, weil es die Konkurrenz auch anschafft.
Diese Nachfrage wird durch phantastische Prognosen so richtig angeheizt: Die KI werde ihre Performance alle zehn Jahre hundertfach steigern und noch in diesem Jahrhundert mehr leisten können als alle menschlichen Hirne zusammen. Der Übergang zur Science Fiction ist fließend und gewollt – KI profitiert von dem Reiz, den futuristische Erzählungen immer schon auf die Menschen ausgeübt haben.
Grundlage dieser Versprechen sind bestimmte Fähigkeiten der KI, aus sich selbst heraus zu lernen und sich somit weiterzuentwickeln. Jedermann weiß, wie mühsam und oft vergeblich das Lernen ist, also sind wir bereit, Maschinen, die solches Leid nicht kennen, Überlegenheit einzuräumen, zumindest jeder Mann, weniger jede Frau. Wieder mag ein Beispiel helfen, das künstliche Lernen zu verstehen, diesmal aus der Welt der Computerspiele. Großer Beliebtheit erfreuen sich etwa digitale Fußballspiele, mit denen man reale Wettkämpfe täuschend echt vor- oder nachspielen kann. Die Figuren mit den Gesichtern wirklicher Stars können alles, Dribbeln, Passen, Schießen, sogar Fallrückzieher und Jubeln. Doch stellen wir uns für einen Moment vor, der französische Superstar Zinedine Zidane hätte den nach ihm benannten Trick, bei dem man sich um seinen direkten Gegenspieler herumwindet, nicht erfunden. Dann wäre er auch der KI unbekannt, und sie würde ihn nicht in tausend Tagen mit tausend Hochleistungsrechnern erlernen. Dabei ist das noch die geringste Schwierigkeit. Fußball ist ein Mannschaftsspiel, die dabei auftretenden Interaktionen einer Schwarmintelligenz – und Schwarmdummheit, hier ist das Gegenteil noch präsent – sind für die KI unerreichbar, aber auf jedem Bolzplatz vorhanden.
Künstliche Intelligenz gilt als die Zukunftstechnologie unserer Zeit. US-Präsident Trump kündigte Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Dollar in diese Branche an. Mit dem Geld sollen Rechenzentren für 100.000 Beschäftigte aus dem Boden gestampft werden. Die EU stolperte sogleich hinterher, wie Kommissionspräsidentin von der Leyen verkündete. Weil Europa auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben müsse. Das bedeutet noch größere Datenbanken, noch aufwändigere Algorithmen, noch mehr Rechenleistung und Unmengen an elektrischer Energie, die dafür benötigt wird. Hier schließt sich nun so mancher Kreis.
Die alten Energieunternehmen jubeln, neue Player mit beschränkter Haftung schießen ins Kraut. Energie wird das große Geschäft in Trumps goldenem Zeitalter. Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne müssen sich keine Sorgen um den CO2-Ausstoß mehr machen. Und die Atomwirtschaft scheint endlich einen positiven Daseinsgrund einschließlich rosiger Zukunftsaussichten gefunden zu haben. Was auch immer aus der Künstlichen Intelligenz werden wird – wahrscheinlich platzen die Träume wie so manche frühere IT-Blase -, die Rechenzentren, die man ihr baut, werden stehenbleiben und können für die Speicherung von Personen- und Mobilitätsdaten genutzt werden. Nicht zuletzt brauchen alle grauen, aber hochprofitablen Geschäftsmodelle im Glücksspiel, bei Sportwetten, in der Sexindustrie, im Immobilien- und Drogenhandel Privatwährungen, mit denen man ungestört Transaktionen abwickeln kann, die eine besondere Diskretion erfordern. Bitcoins und andere Digitalwährungen hatten schon vor einiger Zeit einen Strombedarf wie ganz Schweden. Die Künstliche Intelligenz soll in Bälde an den Stromverbrauch von Japan herankommen.
Die herrliche Welt mit Bitcoins für Waffenhändler und Robotern für Altenheime soll durch eine neue Generation kleiner Atomkraftwerke erschlossen werden, Small Modular Reactors, bei denen alles besser, sicherer und billiger sein soll als bei den herkömmlichen unpopulären AKWs. Das Neue: Globale IT-Konzerne steigen in solche Projekte ein, obwohl sie über keinerlei Kompetenz in Nukleartechnik verfügen. Den Anfang machte Microsoft-Gründer Bill Gates, der die Welt mit Atomenergie retten will. Er hat in ein kleines Nuklearunternehmen investiert, das ungewöhnliche Reaktortypen ent- und wieder verworfen hat. Derzeit bereitet das Startup, das sich Terrapower nennt, die Errichtung eines 345 Megawatt Natriumreaktors in Wyoming vor, eine Genehmigung durch die Regierung steht noch aus. Mittlerweile wollen auch Google LLC und Amazon Kleinreaktoren an Standorten ihrer Rechenzentren errichten lassen. Bill Gates legte nach und kündigte an, einen Reaktor des AKW Three Mile Island kaufen zu wollen, der vom GAU 1979 (»Harrisburg«) nicht betroffen war, aber 2019 stillgelegt wurde. Zuletzt warb Elon Musk beim Wahlkampfauftakt der AfD für Atomenergie.
Für SMR gibt es viele, teils exotisch anmutende Modelle, aber nur sehr wenige haben es bis zur Betriebsreife gebracht. Zwei Kleinreaktoren befinden sich auf dem schwimmenden Kraftwerk Akademik Lomonossow und versorgen mit je 32 Megawatt die Hafenstadt Pewek, die nördlichste Stadt Russlands an der Ostsibirischen See. In China bringt es der Hochtemperaturreaktor Shidao Bay-1 seit zwei Jahren auf 150 Megawatt für die Stadt Weihai[1]. Sein Vorbild, der Kugelhaufenreaktor von Hamm-Uentrop schaffte nur eine Betriebsdauer von einem Jahr. Ein weiterer SMR ist in China im Bau, ebenso einer in Argentinien. Das von Nuklearpopulisten hochgeschätzte deutsche Startup DuaI Fluid hat Partner in Ruanda gefunden und bevorzugt diesen Standort – vermutlich um keine Migranten in die Heimat zulassen.
P.S. In der letzten Januarwoche überraschte das chinesische Unternehmen Deepseek mit einer eigenen Kl-Anwendung, die sich technologisch auf Augenhöhe mit den führenden US-amerikanischen Anbietern befindet. Geschockt registrierte die Branche, dass Deepseek mit deutlich weniger Aufwand auskommt als die bisher bekannten Werkzeuge, ein schmerzlicher Moment auf dem Intelligenzmarkt.
Detlef zum Winkel schrieb in konkret12/24 über Deutschlands Nachsicht mit lrans Atomprogramm
[1] Aktualisierung: Hierbei handelt es sich um zeitlich begrenzte und mitunter riskante Experimente, nicht um eine stabile Dauerversorgung.
