Ronen Steinke, Terror gegen Juden

Februar 2025, OI

Ronen Steinke erzählt von einem Gespräch mit Micha Brumlik[1] in dem dieser einen in der SZ erschienen Artikel des Prof. Michael Brenner zitiert. Brenner, Kind von Holocaust-Überlebenden, kommt zum Ergebnis „… für Juden in Deutschland sei es, vielleicht noch nicht an der Zeit, die sprichwörtlichen Koffer zu packen …, aber so langsam sollte man sich darauf vorbereiten, die Koffer schon einmal vom Dachboden (zu) holen und ab(zu)stauben.“.

Brumlik zitiert aus dem Kohelet[2] diesen Vers: „… alles hat seine Zeit. Eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz. Eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Kampf und eine Zeit für den Frieden.“ Jetzt sei eine Zeit für Kampf, nicht eine zum Zurückweichen.

Nahezu die Hälfte des 300 Seiten starken Buches enthält eine Chronik antisemitischer Taten seit 1945.

ISBN 9783492320924, aktualisiert Okt 2024, 294 S., 14,00 €, Piper Verlag

Bereits auf dem Cover finden wir eine, wie ich meine, nicht ganz nachvollziehbare Verharmlosung: „Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt“. Diese Einschätzung des Staatsversagens wiederholt Ronen Steinke auch an anderer Stelle im Buch. Jedoch. Die von ihm zusammen-getragene hohe Zahl von antisemitischen Widerwärtigkeiten in dem Buch, der dokumentierte Umgang der Sicherheitsbehörden und der Justiz mit antisemitischen Angriffen, lässt daran zweifeln, ob es sich tatsächlich, nur um Staatsversagen handelt.

Wenn etwa der in Kiew geborene, in Leipzig lebende Schriftsteller Dmitrij Kapitelman heute schreibt: „75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz können wir nicht sicher sein, ob die Beamten, die unsere Synagogen bewachen (müssen), nicht nebenbei Hitler-Bilder in WhatsApp-Gruppen teilen (Anm.  IO, siehe Frankfurt und anderswo[3])“, drückt dies begründetes Misstrauen aus. Begründet auch deshalb, weil der Erhalt antisemitischer Verhaltensstereotype sich durch die Jahrzehnte, seit 1945 ununterbrochen zieht. Wenn etwa in München 1949 Die US Militärpolizei Deutsche Polizisten daran hindern musste, einen Demonstrationszug von mehreren tausend Juden zusammen zu schießen, die gegen den aufkeimenden Antisemitismus demonstrieren wollten. Oder, wenn der in München entstandene jüdische Mikrokosmos (Möhlestraße), der etwa 8000 Menschen umfasste, und aus sich ansiedelnden jüdischen displaced persons bestand, im Polizeibericht des 21. Reviers als „Pestbeule für Münchens Stadtbild“ bezeichnet wurde. Man treffe dort „lichtscheues Gesindel mit Verbrecherphysiognomie“. Für viele Jüdinnen und Juden hat sich die innere Distanz zu Polizei und Justiz nicht aufgelöst, sondern verfestigt.

Neben diesem deutschen Antisemitismus untersucht Steinke ausführlich auch den ergänzenden islamischen und palästinensischen Antisemitismus. Nicht unerwähnt bleibt der Antisemitismus von Links, der seine Manifestationen aus den Gewaltausbrüchen, Aktionen und Abwehr, in den Palästinensergebieten, herleitet („Hamas“ die „Guten“, „Israel“ das „Böse“ schlechthin).

Auch wenn der Rechtsliberalismus im deutschen Justizwesen nach wie vor eine Rolle spielt, können wir doch auf eine gewisse Sensibilisierung hoffen, auch wenn, wie etwa der Frankfurter Fall von Nazis im Polizeidienst, auf solcher Hoffnung immer noch schwer lastet. Wer antisemitisches von sich gibt, den Holocaust leugnet, sich nicht vom Nazi-Regime distanziert, kann sich möglicherweise nicht mehr unbedingt auf milde Richter:innen verlassen.

Es hat hingegen den Anschein, als fehle den Staatsanwaltschaften der Kompass, wenn es um die jüngere Generation und um Leute aus der arabischen Community geht, die sich auf die „Politik Israels“ und „der Juden in Israel“ beziehen. Analog zu den Vorgängen um die Hamas-Solidaritätsauftritte 2024/2025 nach den Massenmorden an Bürger:innen Israels und damit verbundenen antisemitischen Ausschreitungen, schildert Steinke unter der Kapitelüberschrift „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!“ Fälle aus dem Jahr 2014. Auch das Grölen „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ wurden nicht strafrechtlich verfolgt. Eine Mainzer Oberstaatsanwältin meinte: „Da sei man machtlos“. Die Staatsanwaltschaften scheinen von Berlin über Gelsenkirchen bis Mainz der Auffassung zu sein, dass das Bundesverfassungsgericht Klagen zum Schutz der Meinungsfreiheit abweisen werde und blockieren scheinbar ganz konsequent solche Klagen von Anfang an, weil der Zusammenhang zum Nationalsozialismus „fehlt“.

Gegen den verbreiteten Rechtsliberalismus, fordert Steinke, solche Hate Crime härter zu bestrafen. Das eine tun, aber das andere nicht lassen. Das bedeutet, Aufklärung und politische Bildung, Förderung des Geschichtsverständnis massiv.[4] Die anhaltenden Versäumnisse der Politik auf diesem Gebiet – nur Versagen?
Ronen Steinke, 1983, Jurist, promovierte über die politische Funktion von Kriegsverbrechertribunalen, Süddeutsche Zeitung, Sachbuchautor, Autor der Biografie „Fritz Bauer. Oder Auschwitz vor Gericht“.


[1] Siehe zu Micha Brumlik – Wikipedia

[2] Kohelet – Wikipedia

[3] Siehe dazu z.B. OLG FFM: Kein Prozess wegen rechtsextremer Polizei-Chats

[4] Weiteres Material zum Thema: https://report-antisemitism.de/
und Autsch!Simon’s Notes, über den Rechtsliberalismus der BRD

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